Jahrestagungsbericht 2017 "Fabrics of Time"
AutorInnen: Prof. Dr. Stefan Keppler-Tasaki und Prof. Dr. Cordula Lemke
Organisiert von Stefan Keppler-Tasaki, Cordula Lemke und Rebecca Mak fand die Jahrestagung 2017 der FSGS am 29. und 30. September unter dem Titel Fabrics of Time im Clubhaus der Freien Universität statt. Knapp 30 Vorträge in neun Panels adressierten ein unter anderem ideengeschichtlich und kulturtheoretisch, ästhetisch und narratologisch gleichermaßen spannendes Spektrum an Zeittexturen, Zeitkonzeptionen und Zeitverständnissen aus zwei Jahrtausenden. Neben einem Großteil der Stipendiatinnen und Stipendiaten engagierten sich viele PIs der FSGS, darunter von der Philosophie, der englischen, deutschen und romanischen Philologie und der AVL, sowie mehrere Gastwissenschaftlerinnen und Gastwissenschaftler unter anderem aus New York, Oxford und Tokyo. Zu den Leitfragen gehörte, in welchen Formen und mit welchen Funktionen literarische und bildkünstlerische Texturen die Texturen von Zeit aufgreifen bzw. in sie eingreifen, wie sie sie produzieren und reflektieren. Zyklisch-episodische und mythisch-achrone Zeit, absolute Zeit nach Newton und relative Zeit nach Einstein, demgegenüber die eigenlogische Zeit von Naturdingen, Artefakten und Biographien waren häufige Bezugspunkte der Vorträge und Diskussionen.
Einen roten Faden bildete insbesondere das literarische Interesse einerseits an der Verflüssigung, andererseits an der Kristallisierung von Zeit. Eindrucksvoll war hier allein schon das Beispiel der Exildichtung Ovids mit der Exilzeit als ‚Gefrierpunkt‘ von Biographie und Umwelt. Zu den ältesten auf der Tagung behandelten Texten gehörten daneben Beowulf, die Kaiserchronik und Geoffrey of Monmouths Vita Merlini, von der der Leitvortrag von Carolyn Dinshaw, Silver Professor der NYU, über mittelalterliche Beschreibungen von Fata Morganen als Ausblicke in die Zukunft seinen Ausgang nahm. Die Literatur der Frühen Neuzeit war durch Montaignes Essais, Shakespeares Hamlet und zeitgeschichtliche Epen über die französischen Religionskriege vertreten. Eine breite Diskussion über säkulare Geschichtsmodelle des 18. Jahrhunderts eröffnete der Leitvortrag von Ritchie Robertson FBA, Taylor Professor of the German Language and Literature, über das Thema der Vierstadien-Modelle in der Aufklärungshistoriographie. Zeit als ausschlaggebendes Kriterium in der Laokoon-Debatte und Tragödientheorie zwischen Lessing, Schiller und Goethe beschäftigten die weiteren Verhandlungen ebenso wie Fälle der Verkapselung und Petrifikation von Zeit im Werk E.T.A. Hoffmanns. Zeitmodelle in Historismus und Realismus berührten Vorträge zur Literaturgeschichtsschreibung im 19. Jahrhundert und zu Charles Dickens.
Ausführlich wurden Prozesse der Fabrikation von Zeit in der Klassischen Moderne an den Beispielen von Virginia Woolfs Orlando, James Joyces’ Ulysses, Thomas Manns Zauberberg, Joseph Roths Radetzkymarsch, und der fragmentarischen Prosa Marina Cvetaevas behandelt. Der Trend zur breiteren Berücksichtigung der Literatur und Kunst von Nachkriegszeit und Gegenwart setzte sich aus den vorangegangen Jahrestagungen (darunter téchnē. Techniken und Technologien des Literarischen 2016 und Gastfeindschaft? Aporien des Umgangs mit dem Anderen in Literatur und Literaturwissenschaft 2015) weiter fort und berührte diesmal unter anderem Romane von Tom McCarthy und Richard Powers. Neben der Verflechtung von Zeittheorien aus der theoretischen Physik, der Psychologie und Philosophie standen dabei auch Fragen vom Erzählen im Präteritum oder Präsens, von Zeitexperimenten in der literarischen und filmischen Science Fiction sowie der Durchbruch zu einer postapokalyptisch-infiniten Zeitauffassung im Vordergrund. Unter den bildkünstlerischen Objekten erwiesen sich Faltbücher, Installationskunst sowie Zeitlupen im Film als besonders ergiebig für die Präsentationen und Diskussionen zum Thema Fabrics of Time.