Staging Business
Florian Evers
Fabian, wir haben uns heute getroffen, um unsere Forschungsreise zum Institut Synergie in Vlotho, Nordrhein-Westfalen, Revue passieren zu lassen. Die Veranstaltung war ja nun für das ganze Projekt „Corporate Theatre“ spannend, da Synergie sowohl Manager-Coachings als auch Assessment-Center-Dienstleistungen anbietet. Ich erinnere mich an eine längere Zugfahrt, mit kompetenten Fachgesprächen zu Spiel und Ethik und der Ankunft in einem zunächst bergigen Niemandsland, in dem der Busverkehr um 17 Uhr eingestellt wird. Auch, dass uns das Wetter auf unserer Odyssee ins Tagungshotel in Vlotho nicht hold war. Am nächsten Tag war ich dann sehr überrascht. Ich hatte vom Institut eine völlig andere Vorstellung. Beginnend mit der Architektur. Ich denke bei solchen Seminarorten zunächst an diese 90er Jahre Jugendherbergsarchitektur mit Holz, Kunststoff und Glas, funktional und ‚feel-good’. Stattdessen erwarteten uns eine romantische Villa und ein freundlicher, schwarzer Chow-Chow am Eingang. Wie waren deine Erwartungen an die ‚Demotage’ in Vlotho?
Fabian Lempa
Zunächst einmal hatte mich sehr gefreut, als Wilma Pokorny-van Lochem uns in ihr Institut eingeladen hat, um uns die Gelegenheit zu geben, ihre Arbeit mit den Seminarschauspielerinnen und -schauspielern noch einmal näher kennenzulernen. Ich hatte im Rahmen meiner bisherigen Feldforschung zwar bereits einige der Methoden beobachten können, aber dennoch fand ich den Gedanken, aufkommende Fragen zu einzelnen Elementen gleich bei ihrer Entstehung stellen zu können, eine großartige Chance. Dies ist ja in einem regulären Seminar, das man wissenschaftlich begleitet, nicht möglich. Die von dir angedeutete Idylle des Städtchens Vlotho hatte ich übrigens genauso erwartet, da Teile meiner Verwandtschaft im Weser Bergland leben. Es hatte daher ein wenig etwas von einem Heimaturlaub und ich bin mit einem sehr entspannten Gefühl in den Zug gestiegen.
F.E.
Richtig, deine Großmutter wohnt ja in der Nähe. Das war quasi ein Heimspiel. Vor allem interessierte mich ja die Schauspieltechnik der Seminarschauspieler_innen, die ich bisher nur in einem Erstgespräch mit Wilma theoretisch umschrieben bekommen hatte. Ich war gespannt – leider auch etwas müde, da ich die Nacht im Hotel sehr schlecht überstanden hatte – aber Kaffee, Zigaretten und dieser unheimlich schöne Tagungsort in Wilmas und Alfons’ Villa haben dann dafür gesorgt, dass ich meine Tagesform fand. Wir saßen dann ja wohl etwa zu zehnt zusammen mit potentiellen Kunden des Instituts in dem Wintergarten der Villa, mit Blick auf den bemerkenswerten Blumengarten und wurden mit Sarah Liu, der Seminarschauspielerin, bekannt gemacht. Die Einführung war geschickt, obwohl ich – und das sage ich nicht, weil ich mich ertappt fühlte – nicht darauf hereingefallen bin. Wilma und Sarah als Trainer und Seminarschauspielerin haben ja zur Demonstration der Fähigkeiten zum ‚realistischen’ Spiel einen Streit fingiert. Da ging es darum, dass Sarah im Garten eine Zigarette geraucht und zu spät zum Beginn der Veranstaltung gekommen war. Zunächst die Präsentation einer potentiellen Konfliktsituation und der Performanz des Seminarschauspielers. Ein gelungener Einstieg in eine solche Demonstration, da man sofort mit einem praktischen Beispiel am Kern dessen ist, was letztendlich dort als Dienstleistung angeboten wird. Sarahs Spiel fand ich in den Nuancen tatsächlich faszinierend. Wie hast du die Technik bis jetzt umschrieben? Ich grübele über das Wort realistisch? In der Theaterwissenschaft ist das ja problematisch, da der Begriff so weit geöffnet ist und vielleicht droht abgenutzt zu erscheinen.
F.L.
Ja, war ein wirklich interessantes Opening der Veranstaltung. Und ich gebe dir da Recht. Ein theaterwissenschaftlich adäquates ‚Wording’ zu finden, fällt bei dieser Art des Spiels schwer. Es zeichnet sich meist durch eine so große Alltagsnähe aus, dass eine Zuschreibung wie ‚realistisch’ im Grunde ja beabsichtigt ist und auch forciert werden soll. Ich habe beim Beobachten der Szene sofort an Augusto Boals „Unsichtbares Theater“ denken müssen, bei dem die Zuschauer ja nicht wissen, dass sie welche sind. Und auch, wenn da natürlich eine gänzlich andere Philosophie zugrunde liegt, waren ästhetische Anleihen durchaus zu erkennen. Überhaupt merke ich bei meinen Ausflügen in die praktische Beobachtung oft, dass bei der Arbeit mit professionellen Seminarschauspielerinnen und -schauspielern das Verschwimmen von Realität und Fiktion durchaus dramaturgisch gewollt ist.
F.E.
Ja, das ist ein guter Punkt: Die ‚Entgrenzung des Spiels’ ist ein wirklich interessantes Phänomen des „Corporate Theatre“ und wäre wahrscheinlich auch eine Fragestellung an alle Formen des Applied Theatre. Hier soll die Ästhetik ja in ihrer Wirkung ihren Weg ins Soziale/Politische bahnen. Ich hatte mich mit Fragen während der Präsentation ein wenig zurückgenommen, da wir ja eigentlich Gäste einer Verkaufsdemonstration waren, bei der zu tief gehende Fragen aus dem wissenschaftlichen Diskurs bis zu einem gewissen Grad auch den Flow der Veranstaltung gestört hätten. Ich habe aber die Rauchpausen genutzt, um Sarah zu befragen. Die Methode kann man bis zu einem gewissen Grad als Hauscocktail beschreiben. Sie gab verschiedenste Einflüsse in ihrer Ausbildung an – wie das auf Schauspielschulen wohl so ist, jeder findet seine Methode. Wilma sagte in Vorgesprächen, dass Method Actor im Vorteil wären, wenn sie sich um die Ausbildung bei ihr bewerben. Das macht durchaus Sinn. Die Methode wird auch im Film angewandt. Zum einen findet man schnell in die Rolle hinein und wieder heraus und kann auch fragmentarisch spielen. Sarah schlüpfte ja auch während der sechsstündigen Veranstaltung in verschiedenste Rollen: introvertiert, extrovertiert, Chef, Angestellte, spiegelte die Teilnehmer oder ließ ganze Nuancenspektren in einer Szene über Gesicht und Körper laufen. Viel kommt auch aus dem Improvisationstheater. Generell lässt sich sagen, dass der Seminarschauspieler oder die Seminarschauspielerin sich in diesen Spielszenen stark zurücknehmen muss, was ganz klar ist: In einem fingierten Verkaufsgespräch tritt nicht Hamlet mit Schädel auf, um sich einen Audi verkaufen zu lassen. Aber, hast du mehr Beobachtungen zur Entgrenzung des Spiels machen können? Du hast ja auch bereits einiges an Coaching im Feld beobachten können.
F.L.
Ein Audi kaufender Hamlet wäre die denkbar schlechteste Form der theatralen Inszenierung für eine Seminarschauspielerin oder einen Seminarschauspieler und würde wohl eher dazu führen, dass die ernste Grundlage, auf denen die theatralen Spiele innerhalb der von Synergie angebotenen Personalentwicklungsseminare stattfinden, aufgeweicht wird. Denn eines steht bereits zu Beginn der Trainings fest. Das Spiel in Interaktion mit dem Schauspieler bzw. der Schauspielerin stellt quasi eine Laborsituation dar, deren Experimentierresultate den Teilnehmern_innen im Alltag dazu dienen sollen, mit bestimmten Situationen besser umgehen zu können. Es ist also kein konsequenzvermindertes Spiel, sondern eines, das die Veränderbarkeit der ökonomischen Realität voraussetzt und fokussiert. Nehmen wir beispielsweise, wie kürzlich gesehen, eine junge Führungskraft, die im Vorfeld des Seminars ein Gespräch mit einem Mitarbeiter hatte, dessen Fehlzeiten überhand genommen haben. Das Gespräch verlief wenig zufrieden stellend. Nun sitzt die Führungskraft im Seminar und hat die Gelegenheit, nach einer ausführlichen dialogischen Erschließung der konkreten Situation die Gesprächssituation im Spiel mit der Schauspielerin zu reenacten, um anschließend im Austausch mit dem Trainer und aber auch dem Schauspieler als eigenständigem Kompetenzpartner auf verschiedene Weise zu analysieren, an welchen Stellen die gewählte Kommunikationsstrategie optimierbar gewesen wäre. Diese "Spielregeln", die durch die Analyse aufgestellt werden, können dann in weiteren Spielrunden ausprobiert und verinnerlicht werden.
F.E.
Richtig – und die Verschachtelung der Entgrenzung von Spiel und Realität ging ja auf dem Demotag sogar noch weiter. In den fingierten Problemgesprächen wurden ja auch die Teilnehmer_innen dazu aufgefordert, einen Kollegen, Untergebenen oder Vorgesetzten zu beschreiben, mit dem die Kommunikation gestört ist. Sarah verkörperte dann diesen Gesprächspartner sehr beeindruckend und spielgewandt. Nach dem Erstgespräch gab sie Feedback, in dem sie dann in einer Spiegelung der Szene den Teilnehmer spielte und dieser wiederum den Kollegen oder Vorgesetzten mimte. Das hatte zur Folge, dass dem Teilnehmer die Kommunikationsfehler klargemacht wurden. In einer dritten Runde durfte der Teilnehmer nun mit verinnerlichtem Feedback seine Strategie ändern. Die Änderung hatte aber immer Erfolg zur Folge und Sarah gab während des Prozesses Feedback als ‚Figur’. Das war letztendlich auch eine geschickte Inszenierung von Erfolg, die zwischen Spiel und Realität oszillierte.
Ich frage mich, ob das Schauspiel im Allgemeinen in diesen Arbeitswelten so gefragt ist, weil wir uns in Bereichen befinden, in denen letztendlich aller Mehrwert ein virtueller ist. Ich meine, wir reden nicht von Arbeit in dem Sinne, dass dort jemand einen Tisch herstellt oder einen Garten gestaltet. Diese Felder leben zu einem Großteil nur von dem, was sprachlich passiert. Das Produkt ist die Kommunikation und daher ist die Simulation von der Realität noch weniger unterscheidbar als etwa im militärischen Planspiel. Was nimmst du aus Vlotho mit?
F.L.
Ich denke, dass der Reiz dieser Theatermethoden für die Wirtschaft insbesondere in zwei Aspekten liegt. Zum einen in ihrer Unmittelbarkeit: In großen Unternehmen ist die Struktur der Kommunikation aufgrund der unzähligen, potenziellen Wege (z.B. Email, Firmenmessenger, Telefon, organisationsinterne Publikationen, usw…) teilweise ungemein kompliziert, schwerfällig, tabubelastet und häufig auch missverständlich. Einfachste Abstimmungsprozesse ziehen sich in die Länge, notwendige Entscheidungen bleiben aus. Im theatralen Spiel erfolgt die Kommunikation dagegen ohne Umwege. Der Teilnehmer agiert, der Schauspieler reagiert, worauf wiederum der Teilnehmer reagieren muss. Und vor allem bekommt der Teilnehmer ein sofortiges, objektives Feedback. Ich denke, dass hier in gewisser Weise auch eine Sehnsucht nach einer ‚entkomplizierten’ Arbeitsumwelt angesprochen wird. Der andere Aspekt, der meines Erachtens für das hohe Interesse der Wirtschaft am Theater verantwortlich ist, liegt in seinem Potential. Das moderne Arbeitssubjekt ist gegenwärtig zahlreichen Herausforderungen gegenübergestellt: Kreativitätszwang, Selbstmanagementkompetenz, die Notwendigkeit der Selbstinszenierung, das Identifizieren mit der eigenen, unternehmerischen Rolle, usw… hier kann Theater durchaus interessante Lösungsansätze bieten, nicht zuletzt auch deshalb, weil es und seine Vertreter_innen derartigen Erwartungen seit jeher gerecht werden müssen. Hier besteht ein Wissensrepertoire, von dem die Unternehmen lernen können. Und zu deiner Frage: Aus Vlotho nehme ich vor allem „Lust auf mehr“ mit. Lust, noch zahlreiche weitere Beobachtungen von Theater mit Seminarschauspieler_innen in Unternehmen zu machen, zu fragen und zu hinterfragen und zu sehen, wie sich meine eigene Perspektive entwickelt. Und was wird dir in Erinnerung bleiben?
F.E.
Ich habe einen sehr guten ersten Eindruck vom Spiel der Seminarschauspieler und Seminarschauspielerinnen gewonnen und freue mich darauf, diese Methode in ihrer Variation im Assessment-Center-Verfahren in Den Haag zu beobachten. In Personalauswahlverfahren werden ja Softskills in verschiedenen Nuancierungen abgefragt werden und es geht nicht um Optimierung und Problemlösung, sondern um das Spiel als Mittel zur Einschätzung von Potential. Außerdem nehme ich Paranoia mit… alles und nichts ist Spiel in den modernen Arbeitswelten. Bin ich Experte oder spiele ich den Experten so gut, dass ich als Experte gelte, ohne jemals entlarvt zu werden?
F.L.
Ich denke, dass wir mit dieser Angst, oder soll ich besser sagen Freude am Ungewissen, im Rahmen unserer Forschung wohl noch etwas länger leben dürfen. Scheinbar eine der ‚Spielregeln’ des wissenschaftlichen Arbeitens. Florian, vielen Dank für dieses erhellende Brainstorming.
F.E.
Auch an dich vielen Dank!
(Juli 2014)