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Zu Besuch beim Hamburger Unternehmenstheater Scharlatan

Ein Gespräch zur Exkursionsfahrt des Proseminars „Theatre in and for Business“ zum Hamburger Unternehmenstheater Scharlatan zwischen Fabian Lempa und Florian Evers. (Geführt im Dezember 2014)

Fabian Lempa

Florian, ich hoffe, du hast dich von unserer gestrigen Exkursion zum Hamburger Unternehmenstheater Scharlatan gut erholt, die wir zusammen mit rund 30 Studierenden meines Proseminares unternommen haben. Wir hatten ja schon einen straffen Zeitplan und ein intensives Arbeitsprogramm.

Florian Evers

Ja (lacht), das war schon generalstabsmäßig geplant, 3 Stunden Busfahrt, 15 Minuten gehen, 4 Stunden Präsentation im Scharlatan Theater, 15 Minuten gehen, 3 Stunden Rückfahrt. Am Busbahnhof hab’ ich mich fast an meinem Glühwein verbrannt, so schnell mussten wir die Hansestadt wieder verlassen.

Was ich aber auch bemerken muss, ist, dass es sich gelohnt hat. Meine Intention war ja nun zunächst einmal, Herrn Wichmann und die anderen Mitarbeiter des Scharlatan kennenzulernen und auszuloten, inwieweit ihr Assessment-Center-Angebot in meine Studie integriert werden könnte – also Networking. Nebenbei habe ich aber auch einen wertvollen Einblick in Verflechtungen von Theater und Wirtschaft erhalten, die deinem Ressort zufallen: den inszenierten Formen von Corporate Theatre. Interessant ist hier nun vor allem, dass ich diese Art des Theaters aus zahlreichen deiner Vorträge bereits im Videobeispiel kennengelernt habe. Gestern ist mir nun sehr deutlich geworden, dass die „leibliche Ko-Präsenz“ – wie das hier am Haus so Schlagwort des performative turn geworden ist – einiges zu diesem Eindruck hinzufügt und letztendlich unerlässlich ist.

F. L.

Das ist richtig. Man konnte sehr gut sehen, wie wenig sich Theater ohne den Moment des Unmittelbaren, des Gegenwärtigen denken lässt. Zwar vermitteln Videoaufzeichnungen einen gewissen Eindruck, aber die theatrale Atmosphäre und vor allem die Wirkung lassen sich auf einem Video nicht konservieren. Ich denke, dass dies für meine Studentinnen und Studenten, die bereits viele verschiedene Videobeispiele von Theater in Unternehmen im Seminar sehen konnten, ein besonderer Aha-Moment war. Denn gerade beim Anschauen der von Anbieter zu Anbieter recht unterschiedlichen Formate wurde in den vergangenen Seminardiskussionen doch häufig die ästhetische Qualität kritisiert. Nach der knapp 45-minütigen Generalprobe des Scharlatan-Formats „Die Bandprobe“, die wir nun in Hamburg live sehen durften, waren die Studierenden dagegen sehr angetan. Einerseits merkte man, dass hier die individuelle ästhetische Erfahrung, die ein Video nicht vermitteln kann, unverzichtbar ist und einen ganz anderen, perspektivischen Zugang ermöglicht. Und andererseits waren auch die vielen Kontextinformationen, die Ali Wichmann und sein künstlerischer Leiter Michael Bandt im direkten Gespräch zur Verfügung stellten, sehr hilfreich. Auch diese liefern fragmentarische Videoclips nur ganz selten mit.

F. E.

Deine Studierenden waren dann ja sogar sehr aufgeschlossen, jenseits kritischer Distanz im Hinblick auf den gesamten Mechanismus einer theatralen Intervention im Unternehmen, mögliche Verbesserungsvorschläge in der Figurenentwicklung mit Herrn Bandt und den Schauspielern zu diskutieren.

Die Form erinnerte mich stark an Boulevardtheater, das Stück war ja – und das meine ich hier nicht negativ – klamaukig. In der Kritik an der ästhetischen Qualität, wie du sie gerade ansprichst und die ich ja auch jenseits deines Seminars schon von Kolleginnen und Kollegen im Kolloquium gehört habe, ist mir, glaube ich, bei dem Besuch und der intensiven Auseinandersetzung mit der Aufführung noch etwas anderes sehr deutlich geworden. Im regelmäßigen Austausch mit unseren Kollegen aus den anderen Teilbereichen hatten wir bereits als einen zentralen Punkt unserer doch so heterogenen Gegenstände festgestellt, dass eine Kernproblematik bei der Betrachtung von „Applied Theatre“ darin liegt, dass wir in den allermeisten Fällen überhaupt nicht das Zielpublikum sind. So auch in diesem Fall. Der Humor generiert sich in der „Bandprobe“ zum einen natürlich aus den überzeichneten Charakteren, die hier aufeinanderprallen: drei Musiker, die zusammen auf einer Weihnachtsfeier spielen sollen und dafür erst einmal menschlich zueinander finden müssen. Dieser Anteil an Situationskomik und Verballhornung populärer Lieder ist etwas, das auch dich, mich und deine Studierenden bei der Aufführung abgeholt hat und uns allen Lacher abringen musste. Der Kern aber liegt, glaube ich, in dem von Michael Bandt beschriebenen „Screening“ der Autoren des Stücks. Will heißen, der Autor geht in die Firma, spricht mit Mitarbeitern aus den unterschiedlichsten Hierarchieebenen und identifiziert dabei Probleme, Vorurteile, firmeninterne Insiderwitze, abgedroschene Phrasen, über die man sich hinter vorgehaltener Hand lustig macht oder Spleens der Vorgesetzten. Das sind, so glaube ich, die eigentlichen Schenkelklopfer, die durch die vierte Wand, mit der das Stück ja durchaus gespielt wird, in den Zuschauerraum hineinreichen und die Zuschauer überraschen. Diese Insiderwitze sind nicht an uns Analytiker gerichtet, folglich geht meiner Ansicht nach der komischste Teil des Stücks an uns weitestgehend vorbei. Und das, wo Humor hier gerade das zentrale Element ästhetischer Qualität und ästhetischer Wirkungsabsicht ist.

F. L.

Du sprichst hier einen wichtigen und guten Punkt an. Einerseits entwickelte die Aufführung, so wie wir sie in der Generalprobe erleben konnten, ihr komisches Potenzial anhand der Charakterüberzeichnung und andererseits über die individuelle Anpassung an die auftraggebenden Unternehmen und ihre Mitarbeiter. In dem konkreten Fall wurde das Stück ja für zwei Banken geschrieben, die sich gegenwärtig in einem tiefgehenden Fusionsprozess befinden, der von allen Beteiligten erst einmal zu akzeptieren ist.

Mit dem Ziel, dass die Mitarbeiter der beiden fusionierenden Banken, die diese Aufführung ja dann im Rahmen ihrer Weihnachtsfeier zu sehen bekamen, sich in den zunächst „verfeindeten“ und später harmonisch vereinten Musikern wiedererkennen, war von vorherein eine humorige Grundspannung gewährleistet. Denn mit dem Gelingen dieser Identifikation entsteht eine Prozesskomik, die von der permanenten Bezugnahme auf die eigene Situation als „Unternehmensbetroffener“ lebt. Dass der Aufführungsplot um die Probe, der auf der fiktionalen Ebene wenige Wochen vor dem „realen“ bzw. faktischen Unternehmenstheaterevent abläuft, dann letztlich genau die Weihnachtsfeier in den Fokus rückt, die die „realen“ Bankmitarbeiter im Moment der Stückaufführung feiern, treibt diese Spannung schließlich auf die Höhe. Hier besteht der Bezug zur eigenen Unternehmensrealität in seiner größtmöglichen Unmittelbarkeit.

Und auch, wenn wir alle als Nicht-Banker im Grunde nicht das Zielpublikum dieser Scharlatan-Produktion bildeten, muss ich gestehen, dass ich sehr überrascht war, wie konstruktiv und offen die Anschlussdiskussionen zwischen dem Regisseur Michael Bandt, seinen drei Schauspielern und uns verlaufen sind, was du ja auch schon angedeutet hast. Meinst du, dass wir auch bei unserer künftigen Lehre verstärkt auf einen derartigen Austausch zwischen Theaterpraxis und analytischer Theorie setzen sollten?

F. E.

Interessante Frage – da müssten wir ja nicht das Rad neu erfinden. In der Aufführungsanalyse ist man ja durchaus auch früher schon angehalten gewesen, nicht nur eine Inszenierung mehrfach anhand einer oder mehrerer Aufführungen zu beschreiben, sondern gegebenenfalls auch an einem anschließenden Publikumsgespräch teilzunehmen. Auch hatte das Institut zu Semesterbeginn Intendant_innen der verschiedenen Berliner Theater zu Gast.

Aber du fragtest ja nach unserer Lehre und nach verstärktem Austausch. Vielleicht formuliere ich es mal so: Wird der Fokus in der Lehre verstärkt auf „Applied Theatre“ gesetzt, bietet es sich an, da sich bereits in der Forschung herauskristallisiert hat, dass uns eine aus allen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Kontexten herauspräparierte Aufführung nicht das angestrebte Ergebnis liefert. Im „Applied Theatre“ sind Fragen der Finanzierung, der peer group und vor allem des cui bono anders als bei vielen Arbeiten zum Kunsttheater ja unerlässlich und gleichrangig mit denen zur Ästhetik, bzw. sind das zwei Seiten derselben Medaille. Beschreibt man nur die Aufführung und wie sie auf einen selbst als idealer Zuschauerin gewirkt hat, ohne Rahmung, ohne Einbettung in einen sozialen, politischen, wirtschaftlichen Kontext, so beschreibt man meiner Ansicht nach so gut wie nichts. Diesen Kontext, der im Kunsttheater wichtig sein kann, aber – je nach Ausrichtung der Arbeit – nicht zwangsläufig wichtig sein muss, erhält man ja nur, indem man das Gespräch mit den Dienstleistern, NGOs, den Verwaltungen der Institutionen, Coaches und Theaterpraktikern sucht.

F. L.

Ich glaube, ich werde diese Frage im Kreise der Exkursionsteilnehmerinnen und –teilnehmer Anfang der kommenden Sitzung auch noch einmal kurz diskutieren und bin gespannt auf das diesbezügliche Feedback.

Ich danke dir, lieber Florian, in jedem Fall sehr für deine Zeit sowie unser Gespräch und freue mich jetzt, nachdem wir dem Thema „Weihnachtsfeier“ gerade verstärkt in der theatertheoretischen Reflexion nachgegangen sind, auf unsere eigene Projektweihnachtsfeier in zwei Wochen. Denn was, wie sich andeutet, für die Beschäftigung mit „Applied Theatre“ gilt, gilt sicher auch fürs Feiern. Auch hier sollte man es nicht ausschließlich bei der Theorie belassen (lacht).

F. E.

Fragen von Politik, Ethik, Ästhetik, Finanzierung, peer group und cui bono sind natürlich auch bei Weihnachtsfeiern in der Realität spannende Fragen. Das Fass Glühwein öffne ich jetzt aber nicht mehr. Auch ich danke für das Gespräch.

 

(Dezember 2014)