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Im Jugendgefängnis San Fernando in Mexiko City

Im Jugendgefängnis San Fernando, in dem Jugendliche zwischen 16 und 22 Jahren längere Haftstrafen absitzen (Höchststrafe für Jugendliche in Mexiko City: 5 Jahre), führt ein Ex-Häftling drei Mal pro Woche einen Theaterkurs durch. Er selber ist während seiner 17 Jahre im Strafvollzug durch die Gruppe Foro Shakespeare zum Theater gekommen. Nun, nach seiner Entlassung vor knapp einem Jahr, will er seine Erfahrungen an die jungen Männer in San Fernando weitergeben.

In einem großen, kalten Mehrzwecksaal wird eine Szenenfolge geprobt, die aus Texten der Häftlinge entstanden ist – zu den Themen Gewalt und Vertrauen, den Rechten von Minderheiten und der Politik Mexikos. Die Szenen sollen demnächst im Gefängnis Verwandten, Freunden und wenigen zugelassenen Außenstehenden vorgeführt werden.

Ein sehr feminin wirkender Häftling hat Masken gebastelt, die die Häftlinge bei Aufführungen vor Publikum oder Fotografen zum Schutz ihrer Identität aufsetzen. Die anderen sind von den glitzernden Karnevalsmasken nicht sehr begeistert – zu schwul für die Machowelt Gefängnis. Mich wundert, dass der sehr gepflegt zurechtgemachte Maskenbastler nicht gemobbt wird in diesem auf Männlichkeit ausgerichtetem Umfeld, in dem „puto“ – schwul – eine der Hauptbeleidigungen ist. Dann erzählt mir einer der Jungs, dass er seinen ‚lover’ umgebracht habe – dafür wird dann schon Respekt gezollt.

Die jungen Männer lesen auf der provisorischen Bühne ihre Texte ab und wirken etwas verloren und desorientiert. Schließlich stellt sich heraus, dass sie den Inhalt und Sinn der Szenen gar nicht verstehen. „Das waren doch Eure Texte“, insistiert der Kursleiter, der auch die dramaturgische Bearbeitung gemacht hat. Kann es sein, dass sich hier die Stimmebenen verwischen, wer hier für wen spricht? Und was soll wer ausdrücken? Als der Jugendliche, der sowohl im Theaterspiel als auch in der Gruppendynamik stets hervorsticht, sich mit dem Theaterleiter anlegt und mehr Respekt im Umgang mit den Jungs einfordert, wird es kurz angespannt im Raum. Man schaut gebannt auf die beiden Männer – dann beginnt der Spielleiter etwas entnervt, die erste Szene noch einmal zu besprechen. Solche Momente beobachte ich häufiger: Einerseits versuchen Kursleiter, die jungen Männer zu eigenständigem und verantwortungsbewusstem Handeln zu ermutigen, andererseits können sie selber nicht immer gut mit Kritik oder Widerrede umgehen.

Der ‚Anführer’ der Jugendlichen erzählt mir später, dass er nach seiner Entlassung trotz seiner Begeisterung für das neue Feld Theater lieber zur Marine gehen wird, denn er brauche Disziplin und klare Ansagen, um „nicht unter die Räder zu kommen“.

Der ‚El Poeta’ genannte Junge dagegen will auf jeden Fall draußen mit dem Schreiben und Theater weitermachen. Darauf gestoßen sei er durch Zufall:

„Beim Rumlaufen hier im Knast hörte ich die Geräusche aus dem Workshop und es hat mich interessiert. Für mich hat das Theater viel mit Poesie zu tun und außerdem fühle und denke ich, dass das Leben ein Theater ist. Ich denke, dass das, was auf einer Bühne dargestellt wird, auch im Leben passieren kann. Wir alle spielen Theater, in irgendeiner Weise.“

Doch die Bühnen sind sehr verschieden...

 

(März 2014)