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Therapie online – das Internet als Bühne

Während der Deutschen Dachverbandstagung für Psychodrama rückt Dr. Michael Lindner in seinem Vortrag „Selbstdarstellung, Kommunikation und Vernetzung – das Internet als Bühne“ die Frage nach Therapie im virtuellen Raum im Zeitalter der Medien als Diskussionspunkt in den Fokus.*

Ich möchte diesen Vortrag zum Anlass nehmen, einige Gedanken zur Privatheit von Räumen, zum Verhältnis von Fiktion und Imagination und zur Körperlichkeit und Rollenflexibilität anzustellen.

Lindner wirft zunächst die These auf, dass das „Internet als Bühne“ zu betrachten sei, bei dem der „Zuschauerraum ein offener“ sei. Er spiegelt damit durchaus einen Trend wieder – den der Theatralisierung von Alltagsphänomenen, der nicht erst seit Erving Goffmans „Wir alle spielen Theater“ zu verzeichnen ist. Lindner führt mit seinen Thesen implizit den Grundgedanken der Bühne weiter aus, denn da, wo eine Bühne ist, muss es auch Zuschauende geben. Zugleich wird durch diese Aussage aber auch klar, dass es sich sowohl um eine andere Bühne als auch um einen anderen Zuschauenden-Raum handelt. Was ist aber dieses „Andere“?

Der Zuschauenden-Raum ist „offen“.

Damit ist wohl die prinzipielle Zugänglichkeit zum Netz gemeint. Wenn man die Metapher weiter fortführt, ist dieser Raum jedoch auch an Voraussetzungen geknüpft. Ein technisches Gerät ist dazu ebenso notwendig, wie ein einmaliges ‚Ticket’ oder eine ‚Dauerkarte’ zum Netz – oder sollte ich hier zur Bühne oder zum Theater schreiben? Es stellt sich die Frage, inwiefern die Internetnutzenden auch Zuschauende sind?

Wenn man einen Menschen vor einem Bildschirm antrifft, so ist die Situation des Schauens sicherlich nicht zu verkennen. Es wäre aber zu kurz gegriffen, die Rolle des Internetnutzenden auf das Schauen zu begrenzen. Hören, Schreiben, Lesen oder auch Sprechen können je nach verwendeter Form durchaus gleichberechtigte Aktionsformen des Handelns darstellen. Ist es daher in diesem Zusammenhang überhaupt sinnvoll von einem/einer Zuschauer*in zu sprechen oder handelt es sich nicht vielmehr um eine*n Akteur*in?

Die grundsätzliche Frage ist natürlich, spätestens seit Brecht und auch seit Moreno, dem Begründer der Therapieform Psychodrama, ob die klassische Aufteilung in Zuschauende und Spielende überhaupt aufrechtzuerhalten ist. Auf das Internet bezogen sehen die Handlungsrealitäten meist anders aus.

Geht es bei der Internet-Nutzung, z.B. bei Plattformen wie Facebook und Skype, nicht vielmehr um einen ständigen Wechsel von Darstellung und Rezeption, also um ein Kommunikationsverhältnis?

Augenscheinlich ist, dass die Kommunikation mit Hilfe eines technischen Gerätes ausgeführt wird und dies auf verschiedenen Ebenen eine Auswirkung hat.

Wenn man sich die vielfältigen Möglichkeiten der Nutzung des Internets anschaut, ist es kaum möglich die Art der Kommunikation, es sei denn sie wird durch ein technisches Instrument ausgeübt, zu verallgemeinern. Daher werde ich im Folgenden lediglich zwei Formen der Kommunikation im Hinblick auf veränderte Körperlichkeit und Form thematisieren: schriftliche und sprachlich/bildhafte. In einem weiteren Schritt wird es dann um die Medialisierung von Therapie gehen.

Die Nutzung der medialen Form Internet wirkt auf den Körper ein, indem der Blick in der Regel auf den Bildschirm gerichtet ist. Die Arme sind meist angewinkelt und die Finger liegen häufig über der Tastatur oder betätigen diese, um nur einige körperliche Merkmale herauszugreifen.

Aber auch auf die Art der Kommunikation hat die Nutzung von Medien – nicht erst seit dem Internet – eine Auswirkung. Bei schriftlichen Formen der Kommunikation, wie E-Mail, Chat, Facebook etc. ist das parallele Musikhören ebenso wie lautes Fluchen möglich, ohne das der/die Adressat*in dies mitbekäme. Dieser Bereich stellt also einen Teil der Situation dar, die sich in der Schrift nicht augenscheinlich wird. Bei schriftlichen Formen der Kommunikation ist zudem eine verzögerte Antwortmöglichkeit gegeben, die anders als bei einer leiblich stattfindenden Kommunikation theoretisch eine Reflexion begünstigt.

Anders stellt sich die Art der Kommunikation bei Skype dar. Der Körper wird mit seinen verbalen Äußerungen vorausgesetzt, die Kamera ist installiert und eingestellt und wird vom Gegenüber wahrgenommen.

Bei beiden Formen wirkt die medialisierte Form der Kommunikation auf den Körper ein und lässt das haptische (Be-)Greifen von Menschen, sowie das Riechen und Schmecken nicht zu. Ebenso wenig erfordert es die leibliche Präsenz beider Kommunikationspartner*innen an einem Ort oder gar zu einer Zeit.

Welche Möglichkeiten der Internetnutzung es für die Therapie geben könnte, stellt Herr Lindner in seinem Vortrag vor und wirft dabei durchaus interessante Fragen auf, ohne jedoch genauer auf das Spezifische der Therapieform Psychodrama einzugehen.

Er thematisiert unter anderem die Möglichkeit, Therapie als virtuelles Psychodrama in einem fiktiven Raum à la „Second Life“ stattfinden zu lassen und benennt als zweite Möglichkeit die etwas bekanntere Methode der bereits praktizierten Online-Therapie per Skype.

Sie können sich das möglicherweise so vorstellen, dass sich bei der virtuellen Therapie nach dem Modell von „Second Life“, Avatare, also fiktive Charaktere, zu einer Therapie in einem virtuellen „geschützten“ Therapieraum treffen und dort unter Anleitung einer/eines Avatartherapeutin oder Avatartherapeuten körperliche und szenische Handlungen vollziehen, während die Konstrukteur*innen der Avatare lediglich durch das Bedienen der Tastatur, möglicherweise aber auch imaginativ die Handlungen mitvollziehen.

Die Frage, die für mich dabei deutlich wird, ist, welche Rolle Fiktion und Realität hierbei spielen? Oder könnte man sagen, dass durch das Konstruieren der Avatare die prinzipielle Konstruktion unserer Realität, ich sollte hier wohl eher „Realitäten“ schreiben, deutlich wird? Man könnte hier möglicherweise auch von einer Dramatisierung des Psychodramas sprechen, bei dem die Teilnehmer*innen nicht erst im Psychodrama gedoppelt werden, sondern sie von sich selbst bereits vor dem „Spiel“ ein Doppel (Avatar) kreieren.

In den theaternahen Therapieformen wird oft damit geworben, dass man durch das Übernehmen verschiedener Rollen seine Rollenflexibilität und auch das eigene Rollenrepertoire erweitern könne. Heißt das nicht aber, dass man durch das Erstellen eines Avatars eher eine bestimmte Figur konstruiert und es so tendenziell zu einer erneuten Festschreibung kommen könnte? Andererseits würde auch mit dem Avatar in einer virtuellen Psychodramasitzung mit Methoden des Psychodramas, wie beispielsweise dem Rollentausch, gearbeitet werden. Es wäre also ein Spiel im Spiel im Spiel.

Die Medialisierung von Therapie, wie sie in Form von Onlineberatung bereits Anwendung findet, wirft aber gerade auch in Bezug auf das jeweilige Selbstverständnis der Therapieformen unterschiedliche Fragen auf.

So arbeiten die theaternahen Therapieformen nicht nur auf einer verbalen Ebene, die sich in eine medialisierte Form womöglich noch gut transportieren lässt, sondern die unmittelbare Begegnung und bewegungsorientierte Ausrichtung stellen eine Grundlage deren Selbstverständnisses dar.

Im Hinblick auf meine Forschungsfrage, die sich mit der Bedeutung von Körper und Bewegung in theaternahen Therapieformen auseinandersetzt, ist dies eine spannende Thematik!

Wärme, Geruchssinn, haptische Arbeit mit Gegenständen oder auch das Arbeiten mit Nähe und Distanz sind Ebenen, die dadurch auf jeden Fall wegfallen.

Wenn laut neurowissenschaftlicher Forschung eine vorgestellte Handlung oder Rezeption (beispielsweise von Kunst), so die These, oftmals ähnliche Hirnregionen aktiviert wie eine tatsächliche eigene Betätigung, dann stellt sich die provokative Frage: „Wozu Bewegung?“**

Mag das Hirn möglicherweise zwar ähnliche Reaktionen zeigen, so wird meines Erachtens die Bedeutung der Bewegung für die Muskeln ebenso wie die grundlegend körperliche Erfahrung, die bei imaginativen Verfahren die Vorstellung ermöglicht, außer Acht gelassen. Das Hirn mag ähnliche Reaktionen zeigen, da es die Vorstellung mit der körperlichen Erfahrung verknüpfen kann, die körperliche Erfahrung ist dafür aber dennoch die Grundlage. Was bedeutet es, wenn in diesem Zusammenhang jegliche Form von Bewegung minimalisiert wird?

Eine andere Frage stellt die Thematik des (Privat)Raumes dar.

Bei virtuellen Formen der Therapie bedeutet dies, dass die Therapie delokalisiert stattfinden kann, das heißt, dass von beiden nicht mehr ein Raum besucht werden muss und Therapie so auch über weitere Entfernungen denkbar wird.

Mit der örtlichen Verlagerung rückt aber auch der private Raum, als der Ort, an dem Therapie häufig stattfinden wird, in den Fokus.

Der private Raum wird damit zunehmend zu einem Ort, in den alles Mögliche eindringen kann. Sobald ich meinen Computer anschalte, können mich Nachrichten von überall erreichen. Eine räumliche Distanz auf dieser Ebene ist zwischen Therapieraum und Privatraum bei Online-Therapien nicht mehr gegeben, wohingegen eine generelle räumliche Distanz zu verzeichnen ist.

Zu unterscheiden ist dabei, dass bei der virtuellen Therapie à la „Second Life“ die Therapie möglicherweise zu Hause stattfindet, gleichzeitig aber auch in einem konstruierten Raum angesiedelt ist. Bei der Onlineberatung per Skype kann die Therapeut*in eventuell einen direkten Einblick in Bereiche des Hauses ihrer Klient*innen bekommen.

Einige Psychodramatiker*innen bei der DFG Tagung erzählten bei der Diskussion nach dem Vortrag, dass sie Skype in Einzelfällen bereits eingesetzt hätten, so beispielsweise, indem sich eine Gruppe regulär an einem realen Ort traf und zwei Teilnehmer*innen, die aus verschiedenen Gründen nicht örtlich anwesend sein konnten, per Skype anwesend waren. Die Teilnehmer*innen kannten sich jedoch zuvor, da sie sich zu einem anderen Zeitpunkt bereits in einem realen Raum leiblich anwesend kennen gelernt hatten. Die Frage nach dem „Schutzraum“ Therapie wird hier zentral und thematisiert.

Sind die Daten sicher? Wer hört oder liest mit? Dies sind Fragen, die sich ebenfalls stellen lassen.

 

* DFG Tagung fand zum Thema „Bühnen des Lebens“ am 15. und 16. November 2013 in Stuttgart statt.

** In dem Forschungsprojekt untersuchen Forscher*innen der Friedrich- Alexander Universität Erlangen Nürnberg zusammen mit dem Germanischen Nationalmuseum, inwiefern das Produzieren und das Rezipieren von Kunst im Gehirn ähnliche Auswirkungen hat:

http://www.staedtler.de/de/stiftung/wissenschaft/verbundforschung/wirkung-von-kunst-auf-gehirn-und-wohlbefinden/

http://www.nordbayern.de/nuernberger-nachrichten/kultur/kunst-wirkt-im-gehirn-1.1573395

 

(Dezember 2013)