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Die Privilegien einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin

Dieser kurze Text geht freilich aus persönlicher Erfahrung hervor, nichtsdestotrotz handelt es sich nicht um einen persönlichen Text. Er behandelt vielmehr allgemeine Themen der Position und Haltung der Wissenschaftlerin und hinterfragt Argumente zur angeblich privilegierten Situation des Akademikers. Zunächst zur ‚Position der Wissenschaftlerin’: Ein französischer Philosoph bezeichnete einmal die ständige Hinterfragung der eigenen Position als ‚wissenschaftliches Kamasutra’. Ich finde die Bezeichnung sehr treffend, denn sie ironisiert eine Banalität, deren ständige Diskursivierung wohl als suspekt erscheinen muss. Diese Banalität betrifft tatsächlich eine Ureigenschaft der Wissenschaftlerin, in der Dualität Subjekt-Objekt gefangen zu sein: Die Wissenschaftlerin – das Subjekt – beäugt, beobachtet, beschreibt, analysiert, interpretiert, kritisiert etc. pp. ihren Gegenstand – das Objekt. Es gibt immer verschiedene Grade der Involvierung des Subjekts im Prozess bzw. verschiedene Gestalten der Relation von Subjekt und Objekt; allerdings wird die Dualität nie gänzlich aufgehoben, da man (wir, die Subjekte der Wissenschaft) eine Aussage über seine Gegenstände machenund in diesem Sinne seine Gegenstände objektivieren muss. Die Position des Subjekts ist immer eine Position der Macht und die Position des Objekts eine der Ohnmacht – diese Banalität ist wohl äußerst mächtig in der Wissenschaft.

Diese Banalität ist freilich nicht zu widerlegen, sondern man muss sich ihr bewusst sein – keine Frage. Das Unbehagen emergiert bei dem immer wiederkehrenden Argument der vermeintlichen Privilegien der Wissenschaftlerin, das einzig und allein auf dieser Banalität fußt bzw. bloß diese Banalität bestätigt. Das Argument erhält besonderen Wert, wenn es im Rahmen eines Forschungsfelds fällt, das sehr prononciert diese Banalität hervorstechen lässt: Mein persönliches Beispiel ist hier das heutige Griechenland in der Krise. Das scheint ein besonders beliebter Forschungsgegenstand zu sein – das banale Argument hier lautet: ‚Die Wissenschaftlerinnen profitieren von der Misere und verdienen ihr Geld dort, wo Menschen vegetieren und sterben.’ Wie gesagt, ich möchte hier keinen persönlichen Text verfassen bzw. nicht meine ganz persönliche Situation schildern und auf dieser Basis argumentieren. Ich möchte bloß auf die Gefahr eines solchen Arguments hinweisen, dessen ständige Evokation die neoliberale Logik verstärkt und bestätigt. Das Argument des Privilegs der wissenschaftlichen Mitarbeiterin, die dem Prekariat der (deutschen!) Unilandschaft angehört, ähnelt dem (neoliberalen) Argument der privilegierten Arbeitenden in Griechenland, die ‚wenigstens noch bezahlt werden’ (heißt: 250 Euro im Monat für eine Sklavenarbeit bekommen) und die besser schweigen sollten. Die privilegierte wissenschaftliche Mitarbeiterin (40 Jahre alt), die für 2200 Euro im Monat bis Dezember 2016 über das Theater im sterbenden Griechenland forscht, sollte…ja, was denn eigentlich? Ein anderes Thema wählen? Dankbar sein? Schweigen?

Meine persönliche Lieblingshaltung ist die des Schweigens; ich glaube freilich, dass sie einer großen Überwindung und riesigen Mutes bedarf. Es ist ungemein schwierig, zu schweigen. Bis dahin ist meine persönliche Empfehlung die monologisierende Haltung, die sich weigert, in einen Dialog hineingezogen zu werden. Die monologisierende Haltung, von der ich spreche, basiert notwendigerweise auf einer Moral der Gerechtigkeit, von der man – als Wissenschaftler – ausgehen muss. Diese Moral muss Forschung und wissenschaftlicher Position zugrunde liegen; sie muss die richtige Seite vertreten, sie muss auf verschiedenen Ebenen geäußert werden und sie muss unbeirrt sein. Die Moral der Gerechtigkeit verbietet sich (Selbst)Zweifel und lässt sich nicht irritieren. Die Wissenschaft braucht dringend eine Moral der Gerechtigkeit.

 

(Juni 2015)