Helena Stadler: Geschäftsführerin, Bürgerstiftung Berlin
Liebe Helena Stadler, kannst Du kurz Dein Berufsprofil beschreiben?
HS: Ich bin Geschäftsführerin der Bürgerstiftung Berlin. Die Bürgerstiftung ist eine etwa seit 10 Jahren in Deutschland existierende Form eines angelsächsisch-amerikanischen Modells einer Stiftung. Das sind community foundations, die das Prinzip haben, das nicht ein Großspender, der Geld hat, eine Stiftung gründet, sondern viele Bürger sich zusammenschließen und Kapital aufbauen und daraus dann für ein Gemeinwesen wichtige Anliegen als Projekte realisieren zu können. Im Moment ist es das weltweit am meisten wachsende Modell von Stiftungen.
Wo hast Du studiert, was hast Du studiert und mit welchem Berufsabschluss?
HS: Ich habe Germanistik, Philosophie und Literaturkritik studiert – erst in Zürich, dann in Berlin an der Freien Universität. Ich habe in Zürich mit dem Lizentiat abgeschlossen. Dann habe ich mit einem Stipendium in Berlin promoviert im Fach Ältere Literatur. Ich hatte zwei Betreuer/-innen: Ingrid Kasten an der FU und Alois Maria Haas in Zürich.
Wie kam es zu der Entscheidung die Promotion im Fach Ältere Literatur zu schreiben?
HS: Das ist relativ spät in meinem Studium gekommen. Ausschlaggebend war eigentlich eine Veranstaltung von Ingrid Kasten, die damals schon „Frauenmystik“ gemacht hat. Das war einerseits die Lehrerin und andererseits der Stoff, dass ich Mediävistik als spannendes Feld für mich entdeckt habe. Es war aber schon im Grundstudium so, dass ich bei Alois Haas Vorlesungen über „Meister Eckart“ gehört habe und diese Texte entsprachen irgendwie der psychischen Verfasstheit einer jungen Germanistik- und Philosophie-Studentin, die über das Leben und das Nichts nachdenkt.
Heute bist Du Geschäftsführerin der Bürgerstiftung. Kannst Du erzählen, wie sich Dein Weg von der Promotion bis dahin gestaltet hat?
HS: Ich habe meine Promotion lange nicht abgeschlossen, weil ich immer neue Interessens-Felder entdeckt habe und wenig diszipliniert an meinem Thema geblieben bin. Irgendwann wurde mir klar, dass mich die wissenschaftliche Vertiefung zu sehr beengt. Per Zufall habe noch während der Promotions-Abschluss-Phase das Angebot erhalten, als Assistentin des Gesamtprogrammleiters der Dornier Verlagsgruppe in Berlin anzufangen und habe das mit sehr viel Interesse und Freude gemacht: Einerseits weil das ein „germanistenaffiner“ Bereich war und andererseits, weil es nach der langen Zeit der Spezialisierung und Konzentration auf ein Thema schön war, wieder in die Breite zu denken. Das war auch eine sehr spannende Aufgabe, denn viele unterschiedlichste Sachbuch-Verlage boten ein abwechslungsreiches Lektorat und mein Aufgabenfeld umfasste alle Bereiche und Abteilungen der Verlage, vom Lektorat bis zum Vertrieb, von der Presseabteilung bis zur Buchhaltung. Die Verlagsgruppe wurde dann 2002 zerschlagen, was ein trauriger Moment war, die Gruppe wurde aufgelöst. Dann war ich erst mal arbeitslos und habe mir überlegt, was mein Traumberuf wäre. Während der Verlagszeit hatte ich Kontakt zu Mitarbeitern einer großen Stiftung und habe mich da dann ehrenamtlich beworben, weil ich diesen Bereich von innen kennenlernen wollte. Dann wurde nach einem halben Jahr eine – zunächst befristetet – Stelle frei, die ich bekommen habe. Ich war vom ersten Tag an total glücklich und habe das als so eine Art Pionieraufgabe gesehen.
Was sind denn die Aufgaben und Arbeitsfelder der Geschäftsführerin einer Bürgerstiftung?
HS: Hauptsächlich mache ich Projektentwicklung im Bildungs- und Kulturbereich. Wir versuchen hier, das was, platt gesagt in der Gesellschaft schief läuft, mit Hilfe von Ehrenamtlichen und neuen Ideen und Projekten auf ein anderes Gleis zu stellen. Das heißt, ich entwickle mit Partnern zusammen Projekte in diesen Bereichen, lese Studien und akquiriere die Gelder. Ich bin aber auch ganz nah dran an den Schulen, wo ich nach Problemen frage, um dann möglichst passgenaue und synergieen fördernde Lösungsmodelle zu erarbeiten. Ganz konkret arbeiten wir mit unterschiedlichen ehrenamtlichen Patenschaften, versuchen den Schulen als institutionelle Partner zur Seite zu stehen und das zivilgesellschaftliche Engagement in zu stärken und ein politisches Bewusstsein in den Bildungsbereich hereinzutragen. Ich und meine Mitarbeiterinnen investieren sehr viel Energie um diese Projekte zu leiten, die Ehrenamtlichen zu betreuen. Neben der Akquise von Fördergeldern und Spenden für die Projekte, versuchen wir auch Zustiftungen für den Kapitalaufbau der Stiftung einzuwerben, also Kapital einzuwerben, aus dessen Erträgen das alles machbar ist. Für all das bin ich zusammen mit dem ehrenamtlichen Vorstand verantwortlich.
Was magst Du an Deinem Beruf, von dem Du sagst, dass es ein Traumberuf ist?
HS: Ich schätze vor allem, dass ich unglaublich viel Ermutigung kriege, weil ich selbst kreativ gestalten kann. Wenn man was für ein Gemeinwesen macht, dann ist man – wie Hannah Arendt mal gesagt hat – nicht mehr in einer Objektposition, sondern in einer Subjektposition. Dann kann man was geben und das ist ein Lebenstrick, den ich auch schon von meinen Mystikerinnen kenne, über die ich promoviert habe. Es ist eine der größtmöglichen persönlichen Freiheiten, wenn ich sagen kann: Ich brauche für mich nicht so viel, aber ich habe ganz viele Ideen und Vorschläge, wie es für die anderen auch besser werden kann.
Welche Aspekte Deines Studiums kommen in Deinem Beruf zum Tragen?
HS: Da kann ich ein ganz konkretes Beispiel machen. Ich bin z. B. gerade dabei, eine große Konferenz zu planen zum Thema „Bilderbuch“. Das ist ein Medium, das zur Integration und zur Sprachförderung beiträgt und Kindern früh zu einem ästhetischen und hermeneutischen Bewusstsein verhilft. Das ist ein interessanter Zusammenhang mit Problemen, die auch schon im Mittelalter diskutiert wurden. Wir haben in unseren sozialen Brennpunkten Schüler, die nach der Regelschulzeit nur mit großer Mühe Lesen und Schreiben können, viele Eltern mit Migrationshintergrund sind Analphabeten. Auch im Mittelalter hat man das Problem der Illiterati diskutiert, und die Möglichkeit den Laien z. B. die Heilige Schrift anhand von Bildern nahezubringen. Heute haben wir etwas ganz Ähnliches: Eine große Masse an Menschen, die nicht lesen und schreiben können, vor allem mit Migrationshintergrund, aber auch immer mehr Deutschmuttersprachler. Der Streit um die Mohammed-Karikaturen hat wieder gezeigt, dass ein Bildungsdefizit vor allem auch ein Mangel an hermeneutischen Auslegungsmöglichkeiten beinhaltet. Mein Studium und meine Promotion haben mein Bewusstsein dafür geschärft, dass das heute keine völlig neue Herausforderung ist, sondern ein Muster, das schon einmal bewältigt worden ist. Das Bilderbuch als eine kleine philosophische und meistens psychologisch und ethisch wertvolle Geschichte ist ein gutes Mittel, um früh das Nachzudenken und Deuten zu üben.
Neben dieser konkreten inhaltlichen Verbindung gibt es natürlich noch anderes: Das Literaturstudium ermöglicht es z. B., aus verschiedenen Quellen einen lesbaren Text zu machen, der ein Problem sachlich richtig darstellt und das Interesse weckt. Das ist eine große Qualifikation, die mir in meiner Verlagszeit und auch bei meiner Arbeit heute unglaublich zugute kommt. Das ist z. B. als Verkaufsargument sehr zentral, wenn man weiß, wie man rhetorisch mit Produkten und Projekten umgeht. Leidenschaft ist ein anderer Aspekt: Wenn man etwas weitergibt, wovon man überzeugt ist, wohinter man steht, und dieses dann auch gut vermitteln kann, dann ist das etwas, was Geisteswissenschaftler/-innen manch anderen Studiengängen voraus haben.
Viele Studentinnen wünschen sich eine Aufgabe, die neben dem Broterwerb und den Karrieremöglichkeiten auch „sinnvoll“ ist. Dein Beruf ist einer, der viel mit Verantwortung für die Gesellschaft zu tun hat. Wie wird man beispielsweise Referentin einer Stiftung oder Leiterin eines Projektes? Was muss man mitbringen, wenn man sich für diesen Beruf interessiert?
HS: Leidenschaft ist natürlich wichtig, aber vor allem eine gelebte Philanthropie, also man muss den Menschen mögen und ein nicht zynisches Verhältnis zur Welt haben. Denn wo, wie bei uns, versucht wird, neue Konzepte für zivilgesellschaftliches Engagement und neue Beteiligungsformen zu erarbeiten, ist es zentral, dass man soziale Kompetenz hat. Das bedeutet auch, sich selbst zurück nehmen zu können. Außerdem muss man bereit sein, Verantwortung zu übernehmen und nicht nur viel, sondern auch konzentriert und strukturiert zu arbeiten. Stressresistenz gehört auch dazu, denn wir machen viele große Veranstaltungen, koordinieren Presse- und Öffentlichkeitsarbeit – da muss man Ruhe und den Überblick bewahren können. Das alles kann man natürlich lernen, wenn man sich z. B. schon während des Studiums engagiert ein Praktikum macht oder ehrenamtlich arbeitet. Es geht ja darum, das Feld zu finden, was einen interessiert. Da muss man nicht nur nach der Aufstiegsmöglichkeit gehen, sondern sich ausprobieren und auch Engagement zeigen. Wir machen u. a. ein Projekt, in dem sich Studierende ehrenamtlich engagieren, dafür lernen sie Drittmittelakquise, Projektmanagement und Pressearbeit quasi nebenbei.
Gerade Frauen haben es auf dem Weg in Führungspositionen oft schwer: Woran liegt das Deiner Meinung nach? Mit welchen Problemen und Vorurteilen haben Frauen zu kämpfen und wie können sie denen begegnen?
HS: Der Erziehungs- und Bildungsbereich ist ja natürlich ein eher „weiblicher“ Bereich. Aber auch in anderen Bereichen würde ich auf Durchhaltevermögen und einen Einsatz „für die Sache“ setzen. Dann können Frauen ihren Weg finden, wenn sie sich nicht beirren und entmutigen lassen und ihre Kompetenzen nutzen.
Wie erlebst Du es selbst in Deiner Position als Geschäftsführerin? Leiten Frauen anders als Männer?
Auf jeden Fall. Ich würde sagen, dass der Drang im Team zu arbeiten viel größer ist, als sich alleine profilieren zu wollen. Das beobachte ich viel: Eine andere Gesprächskultur, der Fokus auf Kommunikation und der Einsatz für ein gutes Miteinander, was natürlich gerade als „Chefin“ nicht immer einfach ist, weil man unterschiedlichen Interessen gerecht werden muss.
Was würdest Du jungen Frauen, die heute studieren, hinsichtlich ihrer Berufswahl raten?
Ich würde auf jeden Fall raten bei den Leidenschaften zu bleiben. Tendenzen ändern sich so schnell und da ist es wichtig, dass man das macht, wofür man brennt und was auch den eigenen Fähigkeiten und Begabungen entspricht. Sich also nicht nur danach zu richten, was die anderen von einem wollen oder was die besten Karrierechancen verspricht, das ist sicher ein guter Weg.
Das Interview führte Franziska Ziep.