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RedeSprengelMaerz

Trauerrede auf Christoph März von Prof. Dr. Peter Sprengel

Sehr geehrter Herr Dekan, liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Studierende, liebe Gäste,

das Institut für Deutsche und Niederländische Philologie trauert um Christoph März.

Mit dieser Trauer sind wir nicht allein, mit uns zeigt sich ein großer Teil der akademischen Gemeinschaft betroffen über dieses viel zu frühe Ende einer großen wissenschaftlichen Begabung. In den letzten Tagen erreichten uns anteilnehmende Schreiben aus den verschiedensten Richtungen: von Hans-Herbert Räkel aus dem fernen Montreal ebenso wie von der Mediävistik der nahen Humboldt-Universität, vertreten durch Werner Röcke und Horst Wenzel. In einem von Hartmut Kugler gezeichneten Brief der Universität Erlangen, an der Christoph März lange und wichtige Jahre verbrachte, heißt es:

„Christoph März war viele Jahre lang am Erlanger Germanistischen Institut unser Freund und Kollege. Obwohl er schon seit mehr als sechs Jahren nicht mehr hier tätig ist, war und ist er uns allen immer gegenwärtig geblieben. Seine Sensibilität, seine Scharfsichtigkeit, seine oft mit Ironie und Sarkasmus gewürzte, aber immer menschenfreundliche Präsenz im Alltag von Lehre und Forschung haben wir geliebt. Er konnte alles und machte wenig Aufhebens davon. Was er sagte, traf den Punkt. Was er schrieb, hatte Bestand. Wer mit ihm zu tun hatte, konnte sich auf seine liebenswerte und unaufdringliche Genauigkeit verlassen. Er war unerbittlich in der Sache und unendlich geduldig mit den Menschen. Damit hat er uns seit seinem Weggang aus Erlangen gefehlt. Jetzt fehlt er für immer.“

Jetzt fehlt er für immer. Im Institutsrat, dem er in der vorigen Wahlperiode als Stellvertretener Direktor angehörte, fehlt seine besonnene Stimme. In der informellen Reformkommission, die sich seit letztem Winter regelmäßig mit der konkreten Ausgestaltung der neuen Studiengänge beschäftigt, fehlt seine einfühlsame und zugleich realistische, verständnisvolle und verständigungsbereite Argumentation. Im Interdisziplinären Zentrum Mittelalter – Renaissance – Frühe Neuzeit, dem er als Vorstandsmitglied angehörte, fehlt sein fachlicher Rat und seine kollegiale Kooperation. Und natürlich fehlt er insbesondere dort, wo sein eigentliches Arbeitsgebiet lag: in der Abteilung für Ältere deutsche Sprache und Literatur, an der er seit 2002 als Professor für Ältere deutsche Literatur mit dem Schwerpunkt Deutsche Literatur und Sprache von den Anfängen bis ins 13. Jahrhundert beheimatet war. Er fehlt dort den Studierenden, den wissenschaflichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, und seinen unmittelbaren Kollegen. Für jede dieser Gruppen wird im Anschluss an diese Einleitung ein Mitglied sprechen: zunächst Herr Braun als Vertreter der Studierenden, dann Frau Zotz, die dem Verstorbenen als Wissenschaftliche Assistentin zugeordnet war und schließlich Herr Mertens als – im doppelten Sinn – ehemaliger Kollege.

Ich möchte mich als eine Art Vorredner damit begnügen, einige Daten aus dem Leben von Christoph März aufzurufen. Richtig bekannt werden Sie den wenigsten sein, denn wer von uns konnte schon zu sagen wagen: ich kannte ihn nahe oder gut. Selbst diejenigen, die häufiger mit ihm zu tun hatten, spürten so etwas wie eine Aura, einen Bereich des Nichtbetretbaren, einen bei allem freundlichen Entgegenkommen, ja aller momentweise aufleuchtenden Herzlichkeit unübersehbaren Willen zum Für-sich-Sein, zu einer Distanz, unter der Christoph März gleichwohl auch gelitten zu haben scheint. Wieweit dieses Bedürfnis nach Distanz durch seine Krankheit mitbedingt oder ihr früher Ausdruck war – wer wollte wagen das zu entscheiden? Auch die Ärzte, die er in letzter Zeit verstärkt konsultierte, schon ein Krankenhausaufenthalt war ja geplant, zeigten sich ratlos oder mindestens uneinig.

Um so berechtigter ist sicher der Versuch, in unserer heutigen Feier, die dem Andenken und dem Abschied von Christoph März gewidmet ist, einige skizzenhafte Striche zu seinem Porträt zusammenzutragen, ein geschlossenes Bild werden und sollen sie kaum ergeben.

In dem Lebenslauf, den er seiner Bewerbung um die Professur an unserem Institut beigefügt hat, heißt es an erster Stelle in einer erstaunlich altmodischen Formulierung:

„14. Juli 1956 Geburt des Christoph Michael März in Nürnberg als erstes der zwei Kinder der Eheleute Hans und Martha März, beide damals Lehrer an Volksschulen.“ Das elterliche Erbe sollte im ursprünglichen Berufswunsch nachklingen, denn nach dem Besuch des Adam-Kraft-Gymnasiums in Schwabach und des humanistischen Zweigs des Heinrich-Schliemann-Gymnasiums in Fürth begann Christoph März 1975 an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg ein Lehramtsstudium mit den Fächern Deutsch und Latein. Erst nach fünf Jahren wechselte er auf die Bahn des Magisterstudiums um, nunmehr mit einer Fächerkombination, in der sich die Schwerpunkte seiner späteren Arbeiten schon deutlich abzeichnen: Hauptfach Germanische und Deutsche Philologie, erstes Nebenfach Musikwissenschaft, zweites Nebenfach Latein. Die Magisterarbeit und die anschließende Promotion bei Karl Bertau waren der Thematik spätmittelalterlicher Sangkompositionen gewidmet, dem sogenannten „Leich“. Auf ein einjähriges DFG-Stipendium folgte 1987 die Assistentenstelle beim Doktorvater Bertau, der auch noch die Habilitation von 1993 betreute, die sich wiederum im Grenz-bereich von Literatur und Musik bewegte, nämlich den „weltlichen Liedern des Mönchs von Salzburg“ galt. In den späten achtziger Jahren bin ich Christoph März auf den Fluren des Er-langer Instituts auch erstmals begegnet; ich habe damals über andere Erlanger Kollegen manche anschauliche Erzählung von den informellen wissenschaftlichen Diskussionsrunden vernommen, die sich um die markante Figur Karl Bertaus herum gebildet haben und inzwischen wohl längst zu einer Institution der Altgermanistik geworden sind: mit alljährlichen sommer-lichen Treffen an den verschiedensten Orten Europas. An diesen Kolloquien hat Christoph März mit größter Regelmäßigkeit teilgenommen. Auf dem letzten Treffen diesen Sommer in Olmütz hat er, das habe ich aus dem Kondolenz- und zugleich Absagebrief unseres Kollegen Matthias Meyer erfahren, der heute in Wien gebunden ist, offenbar einen brillanten Vortrag gehalten; er soll dort auch in besonderer Weise menschlich gelöst und aufgelockert gewirkt haben. Vielleicht ist diese Form eines fast esoterischen wissenschaftlichen Austausches die ihm überhaupt gemäßeste Form der Kommunikation gewesen.

Es sind nicht mehr viele Daten, die ich Ihnen präsentieren kann. Auf ein Heisenberg-Stipendium in den Jahren 1996-2001, das von einem Forschungsaufenthalt in Wien zum Zwecke byzantinistischer Studien unterbrochen wurde oder ihn einschloss, folgt ab 1. Juli 2001 die Tätigkeit als Hochschuldozent (auf einer befristeten Stelle in Leipzig) und zwei Wochen später sein Berliner Vorstellungsvortrag über das Thema „Hyperlinks im 9. Jahrhundert. Zu den Marginalglossen in Otfrieds Evangelien-Buch“. Das Datum dieses Vortrags, der 14.7.2001, war Christoph März’ 45. Geburtstag. Ein gutes Jahr später erfolgt seine Ernennung zum C3-Professor an der Freien Universität, nachdem diese ihm, wie der von mir eingesehenen Akte gleichfalls zu entnehmen, offenbar fast alle Ausstattungswünsche erfüllt hatte, die er vortrug. In einem ganz unpreußisch-persönlich verfassten Schreiben bedankt sich jedenfalls der angehende Berliner Kollege sehr herzlich für die angenehme Atmosphäre der Berufungsverhandlung sowie das Entgegenkommen der Universitätsverwaltung und äussert zugleich seine Vorfreude auf Berlin. Ich erwähne das nicht im Sinne einer pro-domo-Darstellung der FU, sondern weil mir aus diesem aus dem amtlichen Anlass ins Menschliche hinüberschwenkenden Brief ein individueller Tonfall herauszuklingen schien, den ich mit dem Gesicht von Christoph März verbinde.

Im letzten Sommer Jahr, nur knapp vier Monate vor seinem Tod, feierte Christoph März seinen 50. Geburtstag. Er tat das in aller Stille, indem er zu seiner alten Mutter nach Franken fuhr. Da wir am selben Tag eine Sitzung hatten, hat er sich bei mir für sein Ausbleiben entschuldigt: auf einer sehr persönlich abgefassten Briefkarte, unter Verwendung eines Homer-Verses, im vollen griechischen Wortlaut, mit allen Akzenten und Spiritus versehen, die zur Schriftform des Altgriechischen nun einmal dazugehören und die selbst demjenigen, der das einmal richtig gelernt hat, in der Regel später ziemlich schwerfallen. Nicht so Christoph März, dem das Schwierigste so leicht fiel und dem andererseits das sichtlich schwer fiel und zunehmend unmöglich wurde, was der Mehrzahl von uns selbstverständlich ist: eben einfach - zu leben.