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Das Ende der Konfessionalisierung?

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Zur Rezeption und Aktualität eines strukturgeschichtlichen Konzepts in den historischen
Geisteswissenschaften

Interdisziplinärer Workshop an der Freien Universität Berlin
29.-30. August 2024
Veranstaltet von Kai Bremer, Matthias Pohlig, Stefan Schrader und Günther Wassilowsky

Programm

Donnerstag, 29. August 2024

10:30-11:00 Uhr         Get Together

11:00-11:30 Uhr        

Kai Bremer (Berlin): Zur Einführung

11:30-11:45 Uhr        

Matthias Pohlig (Berlin): Religionsvokabular: Forschungsgeschichtliche Beobachtungen zu Konfession, Konfessionalisierung, Konfessionskultur 

11:45-12:15 Uhr         

Diskussion der beiden Statements, Moderation: Anne Eusterschulte

12:15-14:00 Uhr         
Mittagspause 

 

Moderation: Stefan Schrader (Berlin)

14:00-15:00 Uhr         
Jutta Eming (Berlin): (Über)Konfessionelle Kontinuität im protestantischen Märtyrerdrama (Balthasar Thamm: Dorothea)

15:00-16:00 Uhr         
Christine Ott (Frankfurt/M.): Schwere Seelen. Gewicht und Gnade vor dem Hintergrund der französischen Religionskriege 

16:00-16:30 Uhr         
Kaffeepause

16:30-17:30 Uhr         

Bernd Roling (Berlin): Im Räderwerk der Liebe. Malebranche zwischen den Konfessionen

17:30-17:45 Uhr         

Marc Föcking (Hamburg): 
Konfession und/als Häresie in der italienischen Literatur- und Geschichtswissenschaft

17:45-18:00 Uhr        

Diskussion des Statements von Föcking

ab 18:00 Uhr              

Empfang

 

Freitag, 30. August 2024       

Moderation: Christoph Jakubowsky (Berlin)

09:30-10:00 Uhr         

Birgit Ulrike Münch (Bonn): Kann Kunst Konfessionalisierung? Ein Kurzstatement aus der Kunstgeschichte (mit anschließender Diskussion)

10:00-11:00

Volkhard Wels (Berlin): Konfessionelle Verse. Zur Rezeption der Versreform des Martin Opitz im katholischen Bereich

11:00-11:30 Uhr         
Kaffeepause

11:30-12:30 Uhr         

Stefan Schrader (Berlin): Konfessionelle Codierungen. Buße in katholischer und lutherischer Lyrik des 17. Jahrhunderts 

12:30-13:00 Uhr         
Abschlussdiskussion, Verabschiedung

Gäste sind herzlich willkommen! Eine vorherige Anmeldung freut uns, ist aber nicht notwendig.

Tagungsort:     Freie Universität Berlin, JK 31/102

                        Habelschwerdter Allee 45

                        14195 Berlin

Kontakt:          Stefan Schrader

                        stefan.schrader@fu-berlin.de

Konzept:

Nachdem Wolfgang Reinhard und Heinz Schilling das Konzept der Konfessionalisierung in den 1980er Jahren vorgelegt hatten, wurde es in den beiden folgenden Jahrzehnten in der Geschichtswissenschaft wesentlich ausdifferenziert und auch kritisiert. Gleichwohl blieb es etwa in den Überlegungen zur Interkonfessionalität, Transkonfessionalität und binnenkonfessioneller Pluralität (so ein Sammelband von von Greyerz, Lehmann und Kaufmann 2003) wesentliche Bezugsgröße. Mit den Überlegungen zu den 'Konfessionsgesellschaften' (Holzem 1999), der 'Konfessionskultur' (Kaufmann (1998, 2006), Pohlig (2018), Wassilowsky (2018)) oder der 'kulturalistischen' Konfessionskultur-Forschung (Emich 2018) wurde schon rein sprachlich am Konfessionalisierungskonzept angeschlossen, selbst wenn zum Teil deutliche Kritik etwa an dessen etatistischer Ausrichtung und seinem Normierungsdenken formuliert wurde. An diese Überlegungen knüpften produktiv etwa kommunikationshistorische Überlegungen von Hacke (2017) oder das von Garloff und Witt (2019) geleitetet DFG-Netzwerk "Confessio im Konflikt" an. Auch das DFG-Graduiertenkolleg „Interkonfessionalität“ (Universität Hamburg) schließt kritisch an die Konfessionalisierungsdebatten an.


Inzwischen – so scheint es – ist es um die Konfessionalisierung aber insgesamt deutlich stiller geworden. Zwar ist sie in Lehrbüchern weiterhin präsent. Die Aufmerksamkeit, die ihr von den 1990er Jahren bis in die Mitte des letzten Jahrzehnts zuteilwurde, genießt sie aktuell nach Wahrnehmung der Initiatoren jedoch nicht mehr. Verbundprojekte, die sich typischen Themen und Fragestellungen des konfessionellen Zeitalters widmen – zu denken ist etwa an die profilierte Hamburger DFG-Forschungsgruppe 5138 "Geistliche Intermedialität in der Frühen Neuzeit" –, greifen in ihren einführenden Überlegungen nur am Rande auf das Konfessionalisierungskonzept zurück. In der Geschichtswissenschaft scheint jedenfalls die Diskussion um das Konzept erschöpft zu sein; ein anderer sachlicher wie zeitlicher Fokus scheint sich aufzudrängen (globalhistorische Perspektiven, Ausweitung des Reformationsbegriffs). Ähnliches scheint für die evangelische wie katholische Kirchengeschichte zu gelten. Ist die Konfessionalisierung – derart betrachtet und zugleich an Ute Lotz-Heumann (2016) anschließend – am Ende?


Um diese Frage zu beantworten, scheint es wenig sinnvoll, sich allein auf die Geschichts- und Kirchengeschichtsschreibung zu fokussieren. Denn jenseits dieser wurde die skizzierte Entwicklung
sehr divers rezipiert. Sicherlich kann nicht behauptet werden, dass sie unbeachtet blieb. Blickt man allerdings in zahlreiche literatur-, kunst- oder musikhistorische Werke zur frühneuzeitlichen, westeuropäischen Kultur, scheint 'Konfessionalisierung' – zumal nach der sog. Rückkehr der Religionen in den Kulturwissenschaften – schlicht 'Säkularisierung' ersetzt zu haben, ohne dass dies weiter reflektiert wurde. Vom 'Zeitalter der Konfessionalisierung' wird gesprochen, wenn klar ist, dass Attribute wie 'nachreformatorisch' oder gar 'gegenreformatorisch' kaum geeignet sind, um längere historische Entwicklungen zu charakterisieren. 'Konfessionalisierung' wurde also jenseits der Geschichts- und Kirchengeschichtsschreibung in den Geisteswissenschaften oft zu einem Begriff, der es erlaubte, komplexe religions- und kulturhistorische Fragen auszublenden oder zu verkürzen.

Gleichzeitig erschienen immer wieder Einzelstudien, die sich mit dem Konfessionalisierungsparadigma
konstruktiv auseinandersetzten und es für die eigene Disziplin fruchtbar gemacht haben (Roling 2004, Bremer 2005, Münch 2008, 2009, Olk 2017, Wiesenfeldt 2020, Ott/Stockbrugger 2022). Sie wurden und werden in der Geschichts- und Kirchengeschichtswissenschaft rezipiert (eine erste Bilanz schon bei Lotz-Heumann/Pohlig 2007). Inwieweit sie die Auseinandersetzung mit dem Konfessionalisierungskonzept innerhalb des eigenen Faches befördert haben oder aber Einzelfälle sind, wäre hingegen zu erörtern. Besonders weitreichend gehen die Überlegungen von Bremer (2010 und passim), der die These vertritt, dass sich die deutsche frühneuzeitliche Literatur durch die Konfessionalisierung strukturell verändert und an Buß- bzw. Konversionsmustern orientiert hat, die ihrerseits aber erkennbar einen vorreformatorischen Ursprung haben (Weitbrecht 2016). Bremer spricht deswegen von Konversionalisierung, was aber in der Germanistik nicht uneingeschränkt überzeugt hat. Andererseits scheint das Interesse an diesen Überlegungen in anderen Disziplinen erheblich zu sein.


Diese sehr grobe Skizze zur Entwicklung und Rezeption des Konfessionalisierungskonzepts innerhalb der Geschichts- und Kirchengeschichtswissenschaft einerseits und in Literatur-,
Musik- und Kunstgeschichte andererseits macht es nach Überzeugung der Verfasser erforderlich, den interdisziplinären Austausch zu forcieren. Um es zuzuspitzen: Während das Konzept in der Geschichtswissenschaft – zurecht oder zu Unrecht – als überholt wahrgenommen wird (und dennoch nicht ersetzt ist), ist es in vielen anderen historischen Geisteswissenschaften
bisher kaum angemessen rezipiert. Auch der derzeit gängigere Begriff der Konfessionskultur ist in seinen Implikationen noch kaum ausgeschöpft worden.


Gemeinsam soll deswegen im Rahmen eines Workshops erörtert werden, auf welches religionsgeschichtliche Vokabular für die Frühe Neuzeit, welche Konzepte der Konfessionalisierungsforschung
und welche Methoden in den unterschiedlichen geisteswissenschaftlichen Fächern zurückgegriffen wurde und wird, um je vor dem Hintergrund der eigenen disziplinären
Kultur das zu entwickeln, was vielleicht vorläufig als konfessionelle Matrix bezeichnet werden kann: Welche Begriffe, Ideen und Konzepte wurden und werden aus welchen Gründen in
den unterschiedlichen geisteswissenschaftlichen Disziplinen genutzt, a. um die eigenen Quellen, Texte und Artefakte zu erforschen und um b. ggfs. ältere religionshistorisch orientierte
Forschungen zu kritisieren oder weiterzuentwickeln?


Mittels dieser Fragen soll zum einen bilanziert werden, wie das Konfessionalisierungskonzept und seine Erweiterungen und Variationen in den verschiedenen historischen Geisteswissenschaften
rezipiert wurde und ob es gar als etabliert gelten kann. Zum anderen soll erörtert werden, welche Perspektiven sich aus diesen Rezeptionen wiederum für die Geschichts- und Kirchengeschichtsschreibung ergeben.

Auswahlbibliographie:

  • Peter André Alt/Volkhard Wels (Hg.): Religiöses Wissen in der Lyrik der Frühen Neuzeit.
    Wiesbaden 2015.
  • Kai Bremer: Religionsstreitigkeiten. Volkssprachliche Kontroversen zwischen altgläubigen
    und evangelischen Theologen im 16. Jahrhundert. Tübingen 2005.
  • Kai Bremer: Konversionalisierung statt Konfessionalisierung? Bekehrung, Bekenntnis und
    das Politische in der Frühen Neuzeit, in: Herbert Jaumann (Hg.): Diskurse der Frühen Neuzeit.
    Berlin, New York 2010, S. 369-408.
  • Birgit Emich: Konfession und Kultur, Konfession als Kultur? Vorschläge für eine kulturalistische
    Konfessionskultur-Forschung. In: Archiv für Reformationsgeschichte 109 (2018), S.
    375-388.
  • Jutta Eming/Claudia Jarzebowski (Hg.): Blutige Worte. Internationales und interdisziplinäres
    Kolloquium zum Verhältnis von Sprache und Gewalt in Mittelalter und Früher Neuzeit.
    Göttingen 2008.
  • Mona Garloff, Christian Volkmar Witt (Hg.): Confessio im Konflikt. Religiöse Selbst- und
    Fremdwahrnehmung in der Frühen Neuzeit. Göttingen 2019.
  • Kaspar von Greyerz, Manfred Jakubowski-Tiessen, Thomas Kaufmann, Hartmut Lehmann
    (Hg.): Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. Neue
    Forschungen zur Konfessionalisierungsthese. Gütersloh 2003.
  • Daniela Hacke: Konfession und Kommunikation. Religiöse Koexistenz und Politik in der Alten
    Eidgenossenschaft – Die Grafschaft Baden 1531-1712. Wien, Köln, Weimar 2017.
  • Andreas Holzem: Die Konfessionsgesellschaft. Christenleben zwischen staatlichem Bekenntniszwang
    und religiöser Heilshoffnung, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 110 (1999), S. 53-85.
  • Thomas Kaufmann: Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede. Kirchengeschichtliche Studien zur
    lutherischen Konfessionskultur. Tübingen 1998.
  • Thomas Kaufmann: Konfession und Kultur. Lutherischer Protestantismus in der zweiten Hälfte des
    Reformationsjahrhunderts. Tübingen 2006.
  • Ute Lotz-Heumann, Matthias Pohlig: Confessionalization and Literature in the Empire, 1555-1700, in:
    Central European History 40 (2007), S. 35-61.
  • Ute Lotz-Heumann: "Die Konfessionalisierung ist tot, es lebe die Reformation? Überlegungen zu historiographischen
    Wellen und Paradigmenwechseln," in Annali dell' Instituto storico italo-germanico
    in Trento / Jahrbuch des italienisch- deutschen historischen Instituts in Trient 42 (2016): 125-135
  • Birgit Münch: Neue Märtyrer – alte Heilige. Das Martyrium im konfessionellen Diskurs: Zur
    theologischen Strategie einer bildkünstlerischen Leerstelle, in: Andreas Tacke (Hg.): Kunst
    und Konfession. Katholische Auftragswerke im Zeitalter der Glaubensspaltung. Regensburg
    2008, S. 116-143.
  • Birgit Münch: Geteiltes Leid. Die Passion Christi in Texten und Bildern der Konfessionalisierung.
    Von der Reformation bis zu den jesuitischen Großprojekten um 1600, Regensburg.
  • Claudia Olk: "Shakespeare und die Religion – Hamlets Eschatologie." Ideengeschichte um
    1600: Konstellationen zwischen Schulmetaphysik, Konfessionalisierung und hermetischer
    Spekulation. Hrsg. von Wilhelm Schmidt-Biggemann und Friedrich Vollhardt. Stuttgart:
    Frommann-Holzboog Verlag, 2017. 11-32.
  • Christine Ott, Philip Stockbrugger: Spiritualizing Petrarchism, ‘Poeticizing’ the Bible: Two
    Counter-Reformation Self-Commentaries, in: Glossator 12 (2022), S. 133-155.
  • Matthias Pohlig: Harter Kern und longue durée. Überlegungen zum Begriff der (lutherischen)
    Konfessionskultur, in: Archiv für Reformationsgeschichte 109 (2018), S. 217-281.
    Wolfgang Reinhard, Heinz Schilling (Hg.): Die katholische Konfessionalisierung. Münster1995.
  • Bernd Roling: Maimonides im Streit der Konfessionen: Die ‚Statera prudentum‘ des Paulus
    Ritius und die christliche Neulektüre des Maimonides im 16. Jahrhundert, in: Guiseppe
    Veltri u. Gerold Necker (Hg.): Gottes Sprache in der philologischen Werkstatt, Leiden
    2004, S. 149-168
  • Hans-Christoph Rublack (Hg.): Die lutherische Konfessionalisierung in Deutschland. Gütersloh 1992.
  • Heinz Schilling (Hg.): Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland. Gütersloh 1986.
  • Günther Wassilowsky: Was ist katholische Konfessionskultur? in: Archiv für Reformationsgeschichte
    109 (2018), S. 402-412.
  • Julia Weitbrecht: Bewegung – Belehrung – Bekehrung: Die räumliche und emotionale Kodierung
    religiöser Erkenntnis im Straßburger Alexander, in: Julia Weitbracht, Werner Röcke, Ruth von Bernuth (Hg.): Zwischen Ereignis und Erzählung. Konversion als Medium der
    Selbstbeschreibung in Mittelalter und Frühe Neuzeit. Berlin, Boston 2016, S. 109-123.
    Christiane Wiesenfeldt: „Sie ist mir lieb, die werte Magd“. Luthers musikalisches Marienbild
    zwischen Konkretion und Abstraktion, in: Bernhard Jahn, Claudia Schindler (Hg.): Maria
    in den Konfessionen und Medien der Frühen Neuzeit. Berlin 2020, S. 217-240.