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Aristotelische Verhandlungen. Verflechtung von Tragödientheorie und Wissensgeschichte

Das DFG-Projekt Aristotelische Verhandlungen ist offiziell zum 30. Juni 2022 ausgelaufen. Die Projektleitung und -bearbeitung lag bei Dr. Arata Takeda.

Projektskizze

Die europäische Tragödie ist eine Erfindung der Neuzeit. Ihre Herausbildung im Kontext der europäischen Renaissance markiert weniger einen Prozess der Wiedergeburt, wie es die traditionelle Epochenbezeichnung will, als vielmehr einen Prozess der Neuausrichtung und Neubestimmung. Im Zuge der tragödientheoretischen Debatten zwischen Renaissance und Aufklärung kommt es zu kontroversen Verhandlungen um die Frage, welche Art von Leiden in der Tragödie den Vorrang haben soll: das Leiden an (oder Erleiden) einer Katastrophe, die sich als unabwendbar erweist, oder das Leiden mit Blick auf eine Katastrophe, die letzten Endes abgewendet werden kann. Sowohl die erstere als auch die letztere Art von Leiden, für die die Bezeichnungen ›hartes‹ und ›weiches‹ Pathos vorgeschlagen werden, waren in der älteren Tragödie möglich und üblich. Die Forschungsliteratur wird nicht müde, mit Nachdruck darauf hinzuweisen, dass die griechische Tragödie auch glücklich enden konnte; die Tatsache jedoch, dass Aristoteles in seiner Poetik ausdrücklich für die Bevorzugung von weichem Pathos plädierte, wird gerne übersehen. Die Geschichte der Tragödie entscheidet die Frage des Primats von hartem oder weichem Pathos eindeutig zugunsten des ersteren. Mord, Blut und Leichen, anstatt drohender Katastrophe und rettender Wiedererkennung, sollten in der neueren Tragödie dominieren.

Das Projekt ging von der Annahme aus, dass die Entstehung der europäischen Tragödie mit einer tief greifenden Transformation der Vorstellung des Tragischen einhergeht, und wollte Erkenntnisse darüber gewinnen, welche kulturhistorischen und genderpolitischen Konsequenzen sich damit verbinden. Die Ergiebigkeit des Projektes hing von zweierlei ab: erstens, inwiefern es ihm gelingen würde, die Unterscheidung von hartem und weichem Pathos für das Verständnis dieses Transformationsprozesses als sinnvoll zu erweisen, und zweitens, inwiefern das Diktum Walter Benjamins, nach dem die Tragödie auf der Opferidee ruhe, im Lichte der zu erwartenden Erkenntnisse nach einer kritischen Historisierung verlangen würde.

Wenn nach Aristoteles’ Dafürhalten weiches Pathos der Tragödie wesentlicher eignete als hartes Pathos, so war damit der kulturpolitische Anspruch formuliert, die Tragödie solle weniger auf der Opferidee als vielmehr auf der Ablehnung derselben gründen. Indem die Tragödie das Opfer darstellte, anstatt es darzubringen, vollzog sie den zivilisatorischen Schritt von Präsenz zu Repräsentation von Gewalt und Opfer; doch der als nächster denkbare und von Aristoteles nahe gelegte Schritt von Repräsentation zu ›Verüberflüssigung‹ von Gewalt und Opfer ist ausgeblieben. Von der Erforschung der Vorstellungsgeschichte des Tragischen versprach sich das Projekt, diesen Umstand mit dessen weitreichenden kulturhistorischen Auswirkungen, insbesondere mit Blick auf die Theorie des Opfers, den Umgang mit empirischer und dargestellter Gewalt sowie die Frage der Legitimation religiöser und politischer Gewalt, zu erhellen.

Projektangaben bei GEPRIS.

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