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Abstracts für die Vorträge im IZ Colloquium WiSe 2011/2012

Abstracts der Vorträge im IZ Colloquium WiSe 2011-2012


Morphologische Konversion und lexikalische Semantik. Zwei Fallstudien zum Französischen (14.02.2012)

Christoph Schwarze (Universität Konstanz)

Gegenstand des Vortrags sind zwei Wortbildungsprozesse, erstens die Konversion von Partizipien zu Adjektiven (z.B. aplati 'flach gemacht' ->aplati 'flach', ouvert 'geöffnet' -> ouvert 'offen') und zweitens die Konversion von Adjektiven zu Nomina (z.B. vieux 'alt' -> le vieux 'der Alte', nécessaire 'nötig' -> le nécessaire 'das Nötige'). Während der Unterschied zwischen Adjektiven und Nomina offensichtlich ist, erfordert die Unterscheidung zwischen Partizipien (als Formen des Verbs) und Adjektiven eine genauere deskriptive Analyse. Deshalb werden Adjektive und Partizipien hinsichtlich ihrer grammatischen Eigenschaften verglichen. Auf dieser Basis werden dann Tests für Adjektivität vorgeschlagen und auf eine Liste von 200 Partizipien angewandt. Das Ergebnis der grammatischen Analyse wird in Form von Regeln und Repräsentationen formuliert. Hierzu sind vor allem zwei Fragen zu klären: a.    Welche inhaltlichen Veränderungen ergeben sich jeweils unmittelbar aus der Veränderung der lexikalischen Kategorie? b.    Worauf beruht die übrige semantische Variation? Die Antworten sind: Bei der Konversion Partizip -> Adjektiv verliert die semantische Repräsentation des Verbs das Ereignis-Argument. Eine systematische Variation ergibt sich daraus, dass ein verursachendes Ereignis trotzdem konzeptuell zugänglich sein und auch lexikalisiert werden kann. Bei der Konversion Adjektiv -> Nomen wird ein abhängig referierendes Prädikat in ein selbständig referierendes umgewandelt. Die z.T. beachtliche Polysemie der sich ergebenden Nomina erfolgt anhand der konzeptuellen Klassen, die einerseits mit dem adjektivischen Prädikat und andererseits mit dessen Argument assoziiert sind. Hintergrund der Analysen sind ein Modell mehrschichtiger lexikalischer Repräsentationen und die Unterscheidung zwischen semantischer und konzeptueller Struktur.

 


Syntaktischer Wandel: Merkmale und Relationen (24.01.2012)

Ulrike Demske (Universität Potsdam)

In diesem Vortrag soll gezeigt werden, wie sich Phänomene syntaktischen Wandelsauf Veränderungen im Lexikon einer Sprache beziehen lassen. Am Beispiel diverser Veränderungen in der Struktur von Nominalphrasen des Deutschen wird ausgeführt, welche weitreichenden strukturellen Konsequenzen der Wandel von Selektionsbeziehungen haben kann. Im Einzelnen geht es um den definiten und den possessiven Artikel, die Steuerung der Adjektivflexion sowie die genitivischen Attribute.

 


Reference assignment in German children and adults, some (un)expected
results from acquisition and sentence processing. (17.01.2012)

Esther Ruigendijk (Carl von Ossietzky Universität Oldenburg)

The acquisition of pronoun comprehension has been investigated intensively in the last decennia. Many studies have shown that although comprehension of reflexive elements is adult like from very young on, pronoun comprehension is non-adult like until around the age of 6-7 (that is, in a sentence like ‘the boy is washing him’ young children interpret him as referring to the boy). The performance is furthermore dependent on the used method, the sentence structure that has been studied and, of course, the language under investigation. Children acquiring a Romance language for instance have less problems in pronoun comprehension, unlike children acquiring Dutch, or English for example. Things have complicated since it was found (Ruigendijk, 2008) that German children show the same pattern as children speaking a romance language. In this talk I will discuss possible explanations for this somewhat surprising result, in what way is German different from Dutch and English, or, in what way is it similar to Romance language. In other words: why are German children so good at the acquisition of pronoun comprehension. In order to do this I will present several studies we ran with German children, and also data from a cross-linguistic (German vs Dutch and English) sentence processing study investigating the status of German sich in locative PPs, which might provide a key to the solution. The results are discussed within Reuland’s Primitive of Binding framework (2001) as well as the (more) psycholinguistic Syntax-Discourse model by Avrutin, Burkhardt/Schumacher (among others) which is based on Reuland’s work.


Non-Standard Average European    (13.12.2011)

Guido Seiler

Europäische Sprachen bilden einen Sprachbund, der sich durch einige, im weltweiten Sprachvergleich einigermaßen ‛exotische’ morphosyntaktische Konvergenzerscheinungen auszeichnet (Standard-Average-European-Merkmale, SAE). Allerdings hat sich die Arealtypologie vorwiegend auf kodifizierte Standardsprachen abgestützt. Es ist derzeit eine offene Frage, wie konsequent SAE-Merkmale auch in Nonstandardvarietäten realisiert sind. In diesem Vortrag wird argumentiert, dass ein Einbezug dialektaler Strukturen in den typologischen Vergleich nicht einfach nur die Auflöseschärfe erhöht, sondern daraus auch ein qualitativ anderes Bild über die Position von Europa im typologischen Raum resultieren könnte. Wir haben eine Liste typischer SAE-Merkmale (Haspelmath 2001) auf ihre Validität für oberdeutsche Dialekte überprüft und mit den Befunden für die Standardsprache verglichen. Während eine Vielzahl Merkmale gleichermaßen durch Standard und Dialekt gestützt ist, zeigt bei einigen die Standardsprache eine stärkere SAE-Ausprügung als die untersuchten Dialekte (Relativisierung, Negation, Nullsubjekte, Intensivierer und Reflexiv­ ausdrücke, (In)Alienabilität in adnominaler Possession). Interessanterweise kommt das Umgekehrte (stärkere Ausprägung eines SAE-Merkmals im Dia­ lekt) nicht vor. Unter der Annahme, dass es sich bei SAE um eine skalare Größe handelt, schließen wir, dass das Oberdeutsche ein weniger prototypi­ scher Vertreter des SAE ist als die Standardsprache. Der Befund hat Konsequenzen für unser Verständnis des europäischen Sprachbundes und dessen Entstehung, aber auch für die von Chambers (2004) vorgeschlagenen vernacular universals. Bei divergierenden typologischen Charakteristika von Standard und Dialekt analysieren wir die im Dialekt vertretenen Optionen als den typologischen Normalfall, dem die Merkmale von (europäischen) kodifizierten Standardsprachen als abweichend gegenüberstehen. Die Etablierung von spezialisierten vernacular universals halten wir deshalb für überflüssig.


Alternative Modellbildung zur Entwicklung sprachlicher Strukturen (22.11.2011)

Lars Erik Zeige (Humboldt-Universität zu Berlin)

Die scheinbare Gegensätzlichkeit strukturalistischer und funktionalistischer Perspektiven auf sprachlichen Wandel versuchen Sprachwandeltheorien seit ungefähr 20 Jahren zu überwinden. Die Ansätze reichen dabei von Prozessen der Selbstorganisation (›unsichtbare Hand‹, Keller 11990) über eine vollständige Entontologisierung des Gegenstands Sprache (Lass 1997) bis zu evolutionären Mechanismen aus struktureller Variation und sozialer Selektion (Croft 2000). Der Vortrag möchte ein integratives Modell vorstellen, bei dem aus dem unabhängigen theoretischen Rahmen der ›Theorie sozialer Systeme‹ eine gleichberechtigte Behandlung von Struktur, Funktion und Wandel von Sprache entwickelt wird. Unter dem zentralen Begriff der ›Kommunikationen‹ wird hier sprachliche Strukturbildung aus dem Operieren sozialer Systeme abgeleitet. Voraussetzungen und Implikationen des Modells sollen anschließend gemeinsam diskutiert werden.


Semantische Beschränkungen von Distanzbeziehungen (08.11.2011)

Clemens Mayr ( ZAS Berlin)

In diesem Vortrag werde ich sog. Interventionseffekte in wh-Fragen diskutieren (cf. Beck (1996, 2006)). Es handelt sich dabei um Konstruktionen, wo ein skopustragender Operator ein wh-in-situ Element k-kommandiert und daraus Unakzeptabilität folgt. Ich werde argumen-tieren, dass nur eine semantische und nicht eine rein syntaktische Analyse die Daten in voller Generalität erklären kann, da, ob ein Operator interveniert oder nicht, von klar semantischen Eigenschaften abhängig ist.

Mit dieser Beobachtung einhergehend werde ich eine neue empirische Generalisierung einführen. Auch werde ich zeigen, dass die bisherigen semantischen Analysen mit dieser Generalisierung gewisse Probleme haben. Ich schlage daher vor, dass wh-Fragen mit Interventionseffekte Fragen sind, die nicht beantwortet werden können, wenn eine kleine, natürliche Adaptierung von Groenendijk and Stokhof’s 1984 Semantik/Pragmatik für die Beantwortung einer Frage vorgenommen wird.


Berührt oder gerührt? Eine psycholinguistische Studie zur Semantik des 'Bewegtseins' (25.10.2011)

Milena Kühnast (FU Berlin)

Emotionen wie Rührung und Ergriffenheit würden eher als Gegenstand psychologischer undästhetischer Forschung verortet werden. Es sind komplexe Empfindungen, die wir sowohl im Alltag als auch in der Auseinandersetzung mit Kunst erleben. Aus linguistischer Perspektive werden sprachliche Ausdrücke wie 'bewegt', 'erschütternd' oder 'Rührung' als Ableitungen psychologischer Stimulus-Experiencer-Verben klassifiziert. Unter Berücksichtigung der semantischen Struktur von Stimulus-Experiencer-Verben wurde eine empirische Studie mit 610 Personen durchgeführt. Die Ergebnissezeichnen ein differenziertes Abbild des semantischen Feldes und erlauben Schlussfolgerungen über die konzeptuelle Struktur von Rührung im Deutschen.