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Dialektgedichte

Dialektgedichte zeichnen sich dadurch aus,  dass sie die spezifische Mundart einer bestimmten Region verwenden, so etwa bei Axel Karner, Gerhard Rühm, Ernst Jandl, H.C. Artmann, Kurt Marti oder Franz Hohler. Als eine Art Ursprung dieser Dichtung können die Mundartgedichte H.C. Artmanns bezeichnet werden, der nach Ansicht Friedrich Achleitners "den Dialekt für die moderne Dichtung" entdeckt hätten (Achleitner 1992, 37). In seinem 1958 erschienenen Band med ana schwoazzn dintn bedient sich Artmann des Wiener Volkstons, wobei er seine Dialektdichtung stets mit bestimmten Inhalten der modernen Phantastik wie etwa dem Makabren, Grotesken und Abgründigen kombiniert: So entstehen Effekte des Verfremdung, da die klassische Mundartdichtung mit genuin phantastischen Gruselwelten kombiniert wird. Diese besondere Stoßrichtung Artmanns hat vor allem Hans Peter Ecker betont: "Die Verfremdung des Vertrauten, der distanzierte und kritische Blick auf Heimat ist damit auch in der Dialektlyrik möglich geworden; der Anschluß an andere Gattungen, etwa die Volksstücke eines Horvath geschafft" (Ecker 1989, S. 300). 

Mit seiner Integration des Dialekts in die Sprach- und Textmontage wurde Artmann einflussreiches Mitglied der Wiener Gruppe, die er maßgeblich beeinflusste, wie auch umgekehrt die Kriterien der "Wiener Gruppe" im Sinne der avantgardistischen Experimente moderner Avantgarden diese neue Form der Dialektlyrik prägten. So etwa verwendete auch Gerhard Rühm die klanglichen Eigenschaften des Wiener Dialekts, stellte diese aber zugleich in einer "neuen radikalphonetischen Schreibweise dar" (Ecker 1989, S. 300). Von klassischer Mundartdichtung sind diese Experimente also zu unterscheiden: "Diese neue Dialektlyrik erreicht eine neue Stufe der Authentizität. Regionale Substanz wächst dem Gedicht nicht durch das Zitieren weltbekannter, längst zum Klischee verkommener Wahrzeichen einer Lokalität zu, sondern durch die ungewohnte, überraschende 'Einstellung'." (Ebd.)

Gegen Ende der sechziger Jahre wird die Wiener Dialektdichtung in anderen deutschen Sprachlandschaften aufgenommen und so nach und nach weiterentwickelt. Autoren wie Axel Karner, Franzobel, Franz Hohler oder Ernst Jandl schreiben in Dialekt (in scharfer Abgrenzung zur Mundartliteratur), verschieben aber den inhaltlichen Schwerpunkt der Dialektliteratur von den Marginalfeldern der Gesellschaft, den Wiener Sprachspielen und dem surrealen Bereich hin zum Alltäglichen, Empirischen und Politischen: Axel Karner etwa schreibt nach eigener Aussage für die Verfolgten, in der Gesellschaft Ausgegrenzten, überführt die Dialektdichtung also in eine gesellschaftspolitische Funktion. Ähnlich sozialkritisch sind die Blätter eines Hof-Poeten des Berliners Günter Bruno Fuchs: "Jestern / kam eena klingeln / von Tür zu / Tür. Hat nuscht / jesagt. Kein // Ton. Hat so schräg / sein Kopf / jehalten, war / still. Hat nuscht / jesagt, // als wenn der / von jestern / war / und nur mal / rinnkieken wollte, / wies sich so / lebt."

Literatur:

Achleitner, Friedrich: „wir haben den dialekt für die moderne dichtung entdeckt...". [Zu H. C. Artmann, Gerhard Rühm und Ernst Klein], in: Gerhard Fuchs, Rüdiger Wischenbart (Hg.): H. C. Artmann, Graz, Wien 1992, (= Dossier 3), S. 37-40.

Ecker, Hans-Peter: Region und Regionalismus Bezugspunkte für Literatur oder Kategorien der Literaturwissenschaft?, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 63,2 (1989), S. 295–314.