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Rubato

Das Rubato ist ein rhythmisches Strukturmodell, das auf John Cages Lectures on Nothing zurückgeht und als Verlängerung oder Verkürzung des Textes in der Performance verstanden werden kann, zumeist verbunden mit der Forderung, dass die „geraubte Zeit“ wieder zurückgegeben werden muss. Das Muster geht auf eine asyntaktische Folge von Sätzen, Phrasen, Wörtern, Silben und Buchstaben zurück, die Cage durch Zufallsentscheidungen nach dem chinesischen Buch der Wandlungen, dem I Ging, entwickelte. Das I Ging ist ein Orakelbuch, das in 64 Hexagrammen eine Beschreibung der Welt liefert, und das in seiner Kolumnenform Vorlage für Lectures on Nothing und Lectures on Something gewesen ist. Diese 64 verschiedenen Hexagramme bestehen ihrerseits aus sechs Linien, die jeweils in zwei verschiedenen Arten vorkommen können: Als durchgezogene waagerechte Linie (hart) und als in der Mitte unterbrochene waagerechte Linie (weich). Die Lecture on Nothing, 1949 von Cage geschrieben, folgt als Sprechpartitur dieser vom I Ging vorgegebenen Struktur. Dies wiederum erklärt den aus dem Zufallsprinzip des I Ging resultierenden Verlauf des rubato, wie Cage in seiner Einleitung erläutert:

‘There are four measures in each line and twelve lines in each unit of the rhythmic structure. There are forty-eight such units, each having forty-eight measures. The whole is divided into five large parts, in the proportion 7, 6, 14, 14, 7. The forty-eight measures of each unit are likewise so divided. The text is printed in four columns to facilitate a rhythmic reading. Each line is to be read across the page from left to right […]. This should not be done in an artificial manner (which might result from an attempt to be too strictly faithful to the position of the words on the page), but with the rubato which one uses in everyday speech. (Cage 1961: 109).

Die Verwendung des I Ging als Zufallsgenerator der Komposition führt also dazu, dass sich aus der vergleichbaren Kolumnenanordnung von Lectures on Nothing ein Rhythmisierungsprinzip ergibt, insofern die Lesestimme teils vorauseilt, teils zurückbleiben kann. Weil dagegen die parallele Percussion streng im Takt bleibt, sind Sprechstimme und percussive Begleitung auf eine nicht vorhersagbare Weise desynchronisiert.

Schon in seinem gemeinsam mit Friederike Mayröcker verfassten Stereo-Hörspiel mit dem Titel Der Uhrensklave, entstanden im November 1969, hat Ernst Jandl sich dieses Prinzip des von ihm im gleichen Jahr übersetzten Werks John Cages zu eigen gemacht: Auch Der Uhrensklave ist laut Jandl daher „ein Experiment mit der Zeit", wobei er zwischen „aktueller", „subjektiver" und „fiktiver (genormter, objektiver')" Zeit differenziert, welche durch eine vergleichbare Anordnung von Kolumnen im Textbild sowie in der Performance parallelisiert werden. So entstehen dem rubato-Rhythmus von Cage vergleichbare Verschiebungen dreier Zeitformen, die wiederum teils vorauseilen, teils zurückbleiben.

Ein Beispiel für diesen Rhythmus innerhalb der Lyrik liefert das Werk von Bodo Hell, der unter anderem mit Friederike Mayröcker und Ernst Jandl zusammenarbeitete: Ein Rubato findet sich etwa in dem Gedicht brav bergwärts: