Sprungrhythmus
Der 'sprung rhythm' bzw. Sprungrhythmus wurde von Gerard Manley Hopkins entwickelt. Er entsteht, wenn der Versfuß als eine betonte Silbe von unbetonten Silben gefolgt wird, deren Anzahl von null bis in der Regel drei gehen kann. Dieser unregelmäßige, prosanahe Rhythmus unterscheidet sich von der Kadenz dadurch, dass hier die unbetonten Silben frei variiert werden können - bei der Kadenz können dies auch die betonten Silben. Der Name erklärt sich aus der Silbenfolge: Da betonte Silben in diesem Muster oftmals unmittelbar aufeinander folgn können und nicht im steten Wechsel mit unbetonten Silben vorkommen, wird der Rhythmus als "sprung" bzw. als federnd bezeichnet.
Hopkins selbst sagte von sich übrigens, nur der Theoretiker, nicht der Erfinder dieser rhythmischen Form zu sein, insofern er darin den Rhythmus der gemeinsamen englischen Sprache und die Grundlage von so frühen englischen Gedichten wie Piers Plowman und Kinderreime wie etwa "Díng, dóng, béll:/ Pússy's ín the wéll". Schon hier folgt auf die betonten Silben in der Zeile eine variierende Anzahl von unbetonten Silben. Zudem kann im Sprung-Rhythmus ein Fuß aus einer bis vier Silben bestehen, während er in der normalen englischen Metrik aus zwei oder drei Silben besteht. Beispielhaft dafür sind etwa die ersten vier Zeilen aus Hopkins' Gedicht Spring and Fall: "Márgarét, áre you gríeving/Over Goldengrove unleaving?/Leáves like the things of man, you/With your fresh thoughts care for, can you?" Auch hier folgt auf die jeweils betonte Silbe eine von Null bis in der Regel drei reichende Summe unbetonter Silben. Dieser aus der Sicht traditioneller Metrik unregelmäßige, prosanahe Rhythmus, bei dem Wort- und Versakzent oft in Spannung zueinander geraten, bewirkt in Verbindung mit der eigenwilligen Wortwahl und dem reichlichen Gebrauch von Alliteration und Assonanz jene oft konstatierte ›oddity‹ (Seltsamkeit) des lyrischen Tons der Gedichte von Hopkins.
Ernst Jandl hat mit de Form der Stanze eine im Grunde dem Sprungrhythmus nachgebildete Form entwickelt, die eine identische prosodische Struktur aufweist. Jandl hat diese in seiner 1992 entstandenen Sammlung mit dem Titel "Stanzen" folgendermaßen erläutert: “mein neues medium hier, in den stanzen, war diese spezifische art des vierzeilers und der dialekt. (...) die von mir angewandte form der ‘stanze’ ist ein vierzeiler. jede zeile enthält, von einer deutlichen zäsur auf distanz gebracht, zwei stark betonte neben einer jeweils freien zahl von minder betonten oder unbetonten silben. letzteres bietet ungeahnte möglichkeiten der variation.” An anderer Stelle schreibt Jandl: "diese stanzen wurden zu immer derselben melodie als eine art sprechgesang dargeboten, und dies natürlich im niederösterreichischen dialekt, der sich in einer gewissen nähe zu den wiener dialekten bewegte." Beispielhaft für Jands Stanzenform ist das folgende Gedicht:
“jazz me if you can
woman says to man
sogt da maun zua oidn
dazt mi woi fia deppad hoidn”
(Jandl: stanzen, Hamburg/Zürich 1992, 66)
Einflussreich war dieses Muster in der Lyrik des Österreichers Bodo Hell, der die Stanze bzw. den Sprungrhythm beispielsweise im Gedicht iss was rar ist aus dem Band Tracht adaptierte.
Literatur:
Hammerschmid, Michael: Alles ist Nichts: zu Ernst Jandls "Stanzen" In: Ernst Jandl. Musik, Rhythmus, radikale Dichtung, hg.v. Bernhard Fetz, Wien 2005, S. 236-246.
Jandl, Ernst: stanzen, Hamburg/Zürich 1992.
Schneider, Elisabeth W.: "Sprung Rhythm: A Chapter in the Evolution of Nineteenth-Century Verse", in: PMLA. 80 (3) (1965): S. 237–253.