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"We all expect a gentle answer"? Shakespeares "Kaufmann von Venedig" zwischen "Wiedergutmachung" und Integrationsdebatte

Freie Universität Berlin, 26. bis 28. Juni 2009


"Man darf kühnlich behaupten, daß er nächst den Engländern keinem Volke so eigentümlich angehört wie den Deutschen [...] er ist uns nicht fremd: wir brauchen keinen Schritt aus unserm Charakter herauszugehen, um ihn 'ganz unser' nennen zu dürfen." – Mit diesen Worten reklamierte August Wilhelm Schlegel in seinem Hamlet-Essay von 1796 Shakespeare für Deutschland. Der Ausspruch steht für eine deutsche Shakespeare-Rezeption, die den englischen Barden als 'dritten' deutschen Klassiker neben Goethe und Schiller inthronisierte. Wie Friedrich Gundolf später formulierte, schien gerade Shakespeare dem "deutschen Geist" Ausdruck zu verleihen. Traditionell war es vor allem Hamlet, der als Projektionsfläche für die Verhandlung deutscher Identität und Geschichte fungierte. Wenn entgegen dieser Tradition nun Shylock als zentrale Figur für die Frage nach Shakespeare und dem 'deutschen Geist' vorgeschlagen wird, verweist das vor allem darauf, dass zweihundert Jahre "nach der Blütezeit des Deutschen Idealismus, durch die unüberbrückbare Zäsur Auschwitz von ihr getrennt" (Micha Brumlik), die Frage nach Shakespeare und Deutschland neu gestellt und in Bezug zum deutschen Antisemitismus – auch nach 1945 – gesetzt werden muss.

Markus Moninger stellte 2001 fest, der Kaufmann von Venedig biete "bis heute eine Bühne für das Drama der deutschen Nachkriegsgesellschaft im Umgang mit Auschwitz." Die im Rahmen des Forschungsprojekts "Shylock und der (neue) 'deutsche Geist'" veranstaltete Tagung will die verschiedenen Phasen, Tendenzen und Ergebnisse dieses "Dramas" untersuchen. Die Bühnenrezeption des Kaufmann von Venedig von der unmittelbaren Nachkriegszeit bis in unsere Gegenwart wird dabei im Mittelpunkt stehen. Einbezogen werden soll aber vor allem auch der wissenschaftsgeschichtliche, literarische, kulturelle und politische Kontext des Rezeptionsgeschehens und seiner Wirkungen. Dabei wird unter anderem die Frage zu stellen sein, wie sich Inszenierungspraxis und Bedeutung des Stücks seit der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten im Rahmen einer medial vermittelten "Erinnerungskultur" sowie kontrovers geführter Debatten über Globalisierung, Einwanderungsgesellschaft, "Multikulturalismus" und "Integration" möglicherweise verändert haben. Auf der Bühne der deutschen Shakespeare-Rezeption vollziehen sich nicht nur Veränderungen und Verschiebungen in der Auseinandersetzung mit dem Zivilisationsbruch des Holocaust. Thema ist auch, welche Gruppen als die "Anderen" der Mehrheitsgesellschaft angesprochen werden sollen und welche Antworten von diesen "Anderen" zu erwarten sind.

 

Tagungsprogramm: PDF-Dokument

Abstracts: PDF-Dokument

Sammelband: Link

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