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Raoul Schrott

Abschlußbericht zur Gastprofessur von Raoul Schrott am Peter Szondi-Institut für AVL der Freien Universität Berlin (Wintersemester 2008/09)

 

Der österreichische Dichter, Erzähler, Essayist und habilitierte Komparatist Raoul Schrott unterrichtete im Wintersemester 2008/09 als zwanzigster »Samuel-Fischer-Gastprofessor für Literatur« am Peter Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft (AVL) der Freien Universität Berlin. Die 1998 gemeinsam vom S. Fischer Verlag, dem Veranstaltungsforum der Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck, dem DAAD und der Freien Universität Berlin ins Leben gerufene Einrichtung feierte mit Raoul Schrott als ›Jubiläumsgast‹ ihr zehnjähriges Bestehen. Raoul Schrott hat im Jahr 2008 mit zwei vielbeachteten Veröffentlichungen (beide im Hanser Verlag) kontrovers geführte Debatten ausgelöst: mit seiner Studie Homers Heimat über orientalische Einflüsse auf das griechische Epos; und mit seiner Neuübersetzung der homerischen Ilias zum aktuellen Umgang mit Klassikern. Zu Schrotts Arbeiten erschienen zahlreiche Beiträge im deutschsprachigen Feuilleton.

 

Beide Bücher konnten im Rahmen von Raoul Schrotts Gastprofessur an der Freien Universität Berlin einem großen Publikum vorgestellt werden: Am 20. November 2008 präsentierte sie der Indogermanist Prof. Dr. Michael Meier-Brügger (FU) gemeinsam mit dem Autor in einer zweiteiligen Veranstaltung: »Die Ilias und ihr Homer«. In Anbetracht des regen Diskussionsbedarfs wurde für den 19. Februar 2009 eine Anschlußveranstaltung organisiert: Fünf Experten aus verschiedenen Disziplinen trugen in ihren Referaten Einwände gegen Schrotts Theorie von Homers kilikischen (ost-kleinasiatischen) Quellen und gegen seine Praxis der zeitgenössischen Übersetzung vor (als vorbereitete »Statements von altorientalischer, klassisch-archäologischer und klassisch-philogischer Seite«), bevor Raoul Schrott erwiderte, seine Positionen darstellte und sich ein Streitgespräch entwickelte.

 

Am 11. Januar 2009 fand im Berliner Ensemble ein »Lesemarathon« aus Raoul Schrotts Ilias-Übertragung statt: eine ›Lange Nacht der Ilias‹, acht Gesänge in zehn Stunden. Raoul Schrott stellte in einem einführenden Vortrag sein Homer-Verständnis sowie sein Übersetzungs-Konzept vor und las selbst den ersten Gesang. Die weiteren ausgewählten Gesänge lasen u.a. der BE-Dramaturg Hermann Beil sowie die Schauspieler Angela Winkler, Jürgen Holtz und Inge Keller.

 

Neben seiner Beschäftigung mit antiker Literatur und archaischen Dokumenten arbeitet Raoul Schrott an einer aktuellen Studie zur Verbindung von Poesie und Hirnforschung. Zusammen mit dem Münchener Neurowissenschaftler Prof. Dr. Ernst Pöppel (LMU) präsentierte der S. Fischer-Gastprofessor am 6. November 2008 ein gemeinsames Buchprojekt unter dem Titel »Dichten & Denken«.

 

Gegenstand und Ansatz dieses Vorhabens berühren sich mit dem Forschungsfeld des an der Freien Universität Berlin eingerichteten Exzellenzclusters »Languages of Emotion«. Am 9. Januar 2009 diskutierte Raoul Schrott seine Überlegungen zur Ilias, dem Epos über den »Zorn des Achill« (Schrott übersetzt: »bitternis« bzw. »groll«), mit einer interdisziplinären Gruppe von Wissenschaftlern im »Roman Jakobson Kolleg« des Exzellenzclusters.

 

Seinem Seminar gab Raoul Schrott den Titel »Weltliteratur und Poetik«. Wie bereits in seiner Anthologie Die Erfindung der Poesie (Eichborn Verlag) ging es Raoul Schrott darum, die Dichtung von ihren Anfängen her zu erkunden: von assyrischen, chinesischen, altgriechischen, lateinischen, arabischen oder provençalischen Gedichten. Einen Schwerpunkt des Kurses bildete die altägyptische Lyrik. In praktischen Übungen erstellten die TeilnehmerInnen auf der Grundlage bestehender Übersetzungen (in mehreren Sprachen) eigene Fassungen. Nach dem Format der »Frankfurter Anthologie« in der FAZ analysierten sie des weiteren je ein zeitgenössisches Gedicht.

 

Das Peter Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Freien Universität Berlin ist seinen Partnern, dem Veranstaltungsforum der Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck, dem S. Fischer Verlag und dem DAAD, sehr dankbar dafür, daß mit Raoul Schrott ein ungemein vielseitiger und kommunikationsgewandter Autor nach Berlin eingeladen werden konnte, der unsere Studierenden mit einer großen Bandbreite bedeutender, anregender und aktuell diskutierter Themen vertraut machte: von altägyptischer Lyrik und altgriechischer Epik bis zu neurowissenschaftlichen Perspektiven auf die Literatur.

 

Oliver Lubrich

Berlin, 26. Februar 2009