Vortrag: Prof. Dr. Sonia Combe (Institut des Sciences sociales du Politique/ Université de Paris Ouest)
„Der Zugang zu den öffentlichen Archiven im Spannungsfeld von Politik und Zeitgeschichte“
Die neue Art und Weise der zeitgenössischen Geschichtsschreibung in Frankreich und Deutschland wirft mit besonderer Dringlichkeit die Frage auf, in welchem Grade der Zugang zu öffentlichen Dokumenten gewährleistet ist. Die Politik hinsichtlich der Archive bedingt in der Tat in einem starken Masse die Möglichkeit, zeitgenössische Geschichte zu schreiben. Die Gesetzgebungen, die Fristen für die Zugänglichmachung von Dokumenten vorsehen, behindert die Möglichkeiten der Einsicht von Archivmaterial, was die Historiker immer weniger zu akzeptieren bereit sind. Dieselben Historiker haben aufgehört zu betrachten, dass die akademische Geschichtsschreibung nicht die jüngsten Entwicklungen der nationalen Geschichte einschliessen könne. Dieses Kapitel der Geschichte wollen sie nicht mehr nur den Journalisten überlassen. Tatsächlich wird die Forderung nach Offenlegung des Archivsmaterials immer mehr ein Anliegen der Bürger, eben in dem Sinne, dass eine breite Allianz aus Forschern, Journalisten und selbst einfachen Zeitzeugen oder Akteuren der Geschichte entstanden ist. Dieselben sind von dem Wunsch beseelt, ihre eigenen zeitgeschichtlichen Erfahrungen mit den Aussagen der öffentlichen Dokumenten zu konfrontieren. Auch wenn der Zugang zu den Archiven der Stasi als ein “vordemokratisches Unikum” (Götz,Aly) angesehen werden kann, so bleiben doch die Mehrzahl der europäischen Gesetzgebungen noch weit hinter dem “Freedom of Information Act” (FOIA), der seit 1966 in den USA proklamiert wurde, zurück. Um auf den Wunsch nach Offenlegung von Archivmaterial zu antworten, haben Frankreich und Deutschland verschiedene Zugangsarten definiert wie z.B. die ausnahmweise zuganggewährende Möglichkeit der Einsichtnahme, auch “derogation” genannt, oder die Einrichtung von Historikerkommissionen, die einen privilegierten Zugang zu Dokumenten haben, die sekretiert worden sind. Alle diese Möglichkeiten des Zugangs zu Archivmaterial werden von uns unter dem Blickwinkel von Dispositionen analysiert, die praktisch den Effekt von Zensur(und/oder Selbstzensur) zur Folge haben, was die Geschichtsschreibung anbelangt.
Die Veranstaltung findet im Rahmen des Deutsch-Französischen Kolloquiums statt. Es präsentiert und diskutiert Frankreichforschung in vergleichender Perspektive und findet im Semester einmal im Monat statt.
Veranstalter:
Anne Kwaschik, Juniorprofessorin für Westeuropäische Geschichte, FU Berlin/Frankreich-Zentrum
Peter Schöttler, Directeur de recherche CNRS-IHTP Paris /Honorarprofessor, FU Berlin
Patrice Veit, Directeur de recherche CNRS, Directeur du Centre Marc Bloch
Kontakt: a.kwaschik@fu-berlin.de, peter.schoettler@ihtp.cnrs.fr, patrice.veit@cmb.hu-berlin.de
Zeit & Ort
25.10.2012 | 18:00 c.t. - 20:00
Frankreich-Zentrum, Rheinbabenalle 49, 14199 Berlin