Grußwort von Prof. Dr. Klaus W. Hempfer
Prof. Dr. Klaus W. Hempfer
Erster Vizepräsident der Freien Universität Berlin
zur Verleihung der Ehrendoktorwürde an den Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk
- Es gilt das gesprochene Wort -
Sehr verehrter Herr Pamuk, sehr verehrter Herr Regierender Bürgermeister, Exzellenzen, sehr geehrte Mitglieder des Bundestages und des Europaparlaments, sehr geehrte Abgeordnete, sehr geehrte Gäste aus Wissenschaft, Kultur und Medien!
Ich freue mich ganz besonders, Sie heute zu einer weiteren Veranstaltung der „Dahlemer Impulse“ begrüßen zu dürfen, und es ist für die Freie Universität eine außerordentliche Ehre, heute Orhan Pamuk die Ehrendoktorwürde dieser Universität verleihen zu dürfen.
Orhan Pamuk hat bereits eine Fülle von Ehrungen für sein literarisches Werk erhalten:
2006 den durch nichts zu überbietenden Nobelpreis für Literatur, 2005 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, gleichfalls 2005 den Ricarda-Huch-Preis, 2003 den Impac-Literaturpreis für seinen Roman „Rot ist mein Name“ und schon 1991 den Prix Médicis Étranger sowie, noch ein Jahr zuvor, nämlich 1990 den Independent Foreign Fiction Award. Es ist deshalb für die Freie Universität eine ganz besondere Freude, die beeindruckende Zahl von Auszeichnungen durch eine ganz spezifisch universitäre Form der Ehrung, die Ehrendoktorwürde, ergänzen zu dürfen.
Verliehen wird die Ehrendoktorwürde durch unseren Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften, der zusammen mit dem Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften eine in Deutschland nahezu einmalige Vielfalt geisteswissenschaftlicher Disziplinen vorhält. Es sind denn auch die Geisteswissenschaften, auf denen im besonderen Maße die Exzellenz unserer Universität beruht – dies darf ich als für die Geisteswissenschaften zuständiger Vizepräsident in aller Bescheidenheit sagen und durch zwei Fakten belegen: Sowohl im Forschungsranking der Deutschen Forschungsgemeinschaft von 2006 als auch im Ranking des Times Higher Education Supplement gleichfalls von 2006 nehmen die Geisteswissenschaften der Freien Universität den ersten Platz unter allen deutschen Universitäten ein. Wir sind deshalb guter Dinge, auch in der zweiten Runde des Exzellenzwettbewerbs, bei dem wir mit zwei Exzellenzclustern und zwei Graduiertenschulen aus dem Bereich der Geisteswissenschaften in der Endrunde vertreten sind, erfolgreich zu sein. Schließlich nimmt in diesem Sommersemester das Dahlem Humanities Center seine Arbeit auf, das in Analogie zum und in Zusammenarbeit mit humanities centers amerikanischer Elite-Universitäten konzipiert und etabliert worden ist und das die inner- und außeruniversitäre Kooperation und die hohe internationale Sichtbarkeit der Geisteswissenschaften der Freien Universität weiter verstärken soll.
Sehr geehrte Damen und Herren,
Orhan Pamuk wollte ursprünglich eigentlich Maler werden, doch entscheidet er sich letztlich für das Schreiben, und zwar mit einer höchst interessanten Begründung: Nur das Schreiben bietet die Möglichkeit, „mit Worten die Stimme zu erheben, Malerei hingegen bedeute Stummheit“. Orhan Pamuk will jedoch nicht einfach seine eigene Stimme erheben, seine Stimme ist durchdrungen von anderen Stimmen, insbesondere der großen Autoren der europäischen Erzählliteratur. In seinem bisher letzten, autobiographischen Buch, „Istanbul“ äußert sich Orhan Pamuk generell über die Bedeutung der ‚westlichen’ Autoren für sein Schaffen:
„Ob man es nun als falsches Bewusstsein bezeichnet, als Phantasieerzeugnis oder – altmodisch – als Ideologie: Tatsache ist, daß wir alle einen teils verborgenen, teils offen lesbaren Text im Kopf haben, der allem, was wir tun und lassen, irgendwie einen Sinn verleiht. Und in diesem Text nimmt das, was westliche Beobachter über uns sagen, breiten Raum ein. Bei Leuten wie mir, die in Istanbul mit einem Bein in der einen Kultur und mit dem zweiten in einer ganz anderen leben, ist dieser «westliche Beobachter« nicht unbedingt eine echte Person, sondern vielleicht eine Fiktion, ein Traum, eine Selbsttäuschung. Da ich mich aber nicht nur auf die alten, herkömmlichen Texte verlassen will, verspüre ich das Bedürfnis nach jenem Fremden, der meinem Leben mit einem neuen Text, Bild oder Film neuen Sinn einhaucht. Und wenn ich das Gefühl habe, dass gerade keine westlichen Augen auf mir ruhen, werde ich eben selbst zu meinem eigenen Westler.“
Interessant ist an diesem Zitat nicht nur die Pamuks Erzählen durchgängig charakterisierende Bezugnahme auf andere, "westliche" Autoren, sondern vielmehr der Hinweis auf die potentielle Selbstkonstruktion des ‚westlichen Blicks’ und damit auf Pamuks ureigenste Außensicht der eigenen, türkischen Wirklichkeit.
Der fremde Blick, der eigentlich der eigene ist, war der erzählerische ‚Trick’, mit dem Montesquieu in seinen „Lettres persanes“, einer natürlich fiktionalen Sammlung von Briefen persischer Reisender aus Paris, Kritik an den zeitgenössischen Zuständen in Frankreich üben und zentrale Vorstellungen der Aufklärung propagieren konnte. Pamuks Texte sind insgesamt von grundlegend anderer Fraktur, ermöglichen durch die Selbstkonstruktion einer Außensicht aber gleichfalls jene kritische Distanz, die scheinbar Selbstverständlichem die Selbstverständlichkeit entzieht.
Bei alledem will Orhan Pamuk kein politischer Autor sein. Die erste Pflicht eines Schriftstellers sei es, so Pamuks abschließende Bemerkung in dem Spiegel-Interview dieser Woche: „gute Bücher zu schreiben“. Seine Bücher sind mittlerweile in 45 Sprachen übersetzt. Orhan Pamuk versteht es ganz offenkundig, gute Bücher zu schreiben. Und so ist es diese ästhetische Autorität, die ihn zu einer moralischen Instanz hat werden lassen, deren Stellungnahmen auch erhöhtes politisches Gewicht zukommt.
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