Nedim Gürsel
Samuel-Fischer-Gastprofessor im Wintersemester 2011/2012
Nedim Gürsel wurde 1951 in Gaziantep, Türkei, geboren. Er studierte an der Pariser Sorbonne und promovierte dort über Nazim Hikmet und Louis Aragon. Gürsel lehrt an der Sorbonne und leitet das Centre National de la Recherche Scientifique, an dem er außerdem als Lektor für Türkische Literatur tätig ist.
Bereits früh veröffentlichte er Novellen und Essays in verschiedenen türkischen Literaturzeitschriften. Nach dem Staatsstreich 1971 musste er sich für einen seiner Artikel vor Gericht verantworten, woraufhin er nach Frankreich ins Exil ging. 1979 kehrte Gürsel in die Türkei zurück, doch der Militärputsch 1980 trieb ihn erneut ins französische Exil.
1976 erschien Gürsels erster Erzählband "Uzun Sürmüþ Bir Yaz" (Ein Sommer ohne Ende), für den er sogleich die höchste Literaturauszeichnung der Türkei, den Preis der türkischen Akademie, erhielt. 1997 folgte sein erster Roman "Bogazkesen" (Der Eroberer, 1998), der auch international große Beachtung fand.
Gürsel schildert darin die Geschichte eines Schriftstellers, der von seinem Romanhelden, der historischen Gestalt des grausamen und zugleich feingeistigen Sultan Mehmet II., so sehr fasziniert ist, dass für ihn Fiktion und Realität, Vergangenheit und Gegenwart eins werden und seine Überidentifikation auch ihn zum Verbrecher werden lässt. Was sich zunächst wie ein farbenprächtiger historischer Roman über Leidenschaft, Leben und Tod liest, erweist sich als eine kritische Auseinandersetzung mit der türkischen Militärdiktatur Anfang der achtziger Jahre. Gürsel wurde für sein realistisches Bild des Eroberers Mehmet in seiner Heimat des Vaterlandsverrats beschuldigt.
In "Resimli Dünya" (1999; Turbane in Venedig, 2002) lässt der Autor die osmanische Kultur im Spannungsfeld mit der italienischen Renaissance lebendig werden. Der Originaltitel bedeutet wörtlich "Die Welt mit Bildern" und kann auch als Verweis auf die üppige Bildhaftigkeit von Gürsels phantastischen Romanen gelesen werden. Die Geschichte der Türkei und Europas sowie orientalische Erzähltraditionen bilden die Grundlage der Werken Gürsels, der heute neben Yasar Kemal und Orhan Pamuk zu den wichtigsten Schriftstellern der Türkei zählt.