Die Nachlese im Wintersemester 2021. Die Veranstaltung findet in Präsenz im Institut français Berlin statt. Sie können der Veranstaltung außerdem über Zoom beiwohnen (Meeting-Link hier).
Die Jurymitglieder haben entschieden – mit dem Prix Goncourt wurde letzte Woche der wichtigste Literaturpreis Frankreichs an den Schriftsteller Mohamed Mbougar Sarr vergeben. Damit ist der auf mehreren Listen geführte Favorit gekürt worden und trotzdem ist die Wahl beachtlich: Der 1990 im Senegal geborene Mohamed Mbougar Sarr ist einer der jüngsten prämierten Autor*innen in der Geschichte des Goncourt, zudem ist die Ehrung eines Schwarzen Autors aus dem subsaharischen Afrika auch ein deutliches politisches Signal in einem derzeit vom Wahlkampf stark aufgeheizten öffentlichen Diskurs in Frankreich.
Vor allen Dingen aber sei die Entscheidung für den besten Roman, wie der Jurypräsident der Académie Goncourt Didier Decoin betont, eine an literarästhetischen Parametern gemessene Wahl gewesen: „Ce livre est un hymne à la littérature.“ In La plus secrète mémoire des hommes (Philippe Rey/Jimsaan) entdeckt ein junger senegalesischer Autor im heutigen Paris ein geheimnisvolles Buch aus dem Jahr 1938 und begibt sich auf die Reise nach dessen vergessenem Autor. Der Roman streift die großen kriegerischen Auseinandersetzungen und Traumata des letzten Jahrhunderts, ohne sich aber auf Themen wie Kolonialismus und Rassismus zu begrenzen. Denn der außergewöhnliche Text bezieht seine Stärke vor allem aus seiner stilistisch anspruchsvollen Beschaffenheit, seiner labyrinthischen Struktur und seinem metafiktionalen Spiel.
Der zeitgleich vergebene Prix Renaudot ging an die Erfolgsautorin Amélie Nothomb für Premier sang (Albin Michel), und damit an einen Text, der die Lebensgeschichte ihres liebevollen Vaters nacherzählt und gewissermaßen das Gegenstück zu Christine Angots durch den Prix Médicis prämierten Text bildet: In Le Voyage dans l’Est (Flammarion) kommt die Autorin auf den Missbrauch ihres Vaters zurück, dem sie als Kind bis ins Erwachsenenalter ausgesetzt war. Auch der durch den Prix Femina ausgezeichnete Text widmet sich der Familie: In Clara Dupont Monods Roman S’adapter (Stock) wird aus der Perspektive von drei Geschwistern erzählt, wie sie die Geburt ihres schwerbehinderten Bruders erleben und verarbeiten.
Den hier genannten ausgezeichneten Texten und vielen weiteren bemerkenswerten Neuerscheinungen widmet das Frankreichzentrum der Freien Universität in Kooperation mit dem Institut français Berlin der rentrée littéraire in Frankreich eine Diskussionsveranstaltung. Ulrike Schneider, Professorin für frz. und ital. Literatur (Freie Universität Berlin), Jürgen Ritte, Professor für Germanistik (Paris 3 Sorbonne Nouvelle) und Andreas Rötzer, Verleger von Matthes & Seitz Berlin sprechen über Politiken der Preisvergaben und aktuelle wie länger anhaltende Tendenzen der französischen Gegenwartsliteratur, stellen ihre Favorit*innen vor und kommentieren Debatten aus dem Feuilleton rund um den literarischen Herbst.