Forschungsprogramm
Gegenstand, Aufgaben und Ziele
Die Kunstwissenschaften haben lange Zeit – nicht nur in Deutschland – eine Art Einsiedlerexistenz geführt. Ob Musik- oder Theaterwissenschaft, ob Kunstgeschichte, Literatur- oder Filmwissenschaft, jede sah sich durch ihren je spezifischen Gegenstand und eine auf ihn bezogene Methodologie und Theoriebildung klar definiert und von den anderen abgegrenzt. In den letzten fünfzig Jahren zeichnen sich allerdings in allen Künsten Tendenzen ab, die diese Abgrenzung der traditionellen Kunstwissenschaften unterlaufen. Dafür sind vor allem zwei Entwicklungen verantwortlich: zum einen die zunehmende Aufhebung der Grenzen zwischen den Künsten, wie sie durch Performativierung, Hybridisierung und Multimedialisierung hervorgebracht wird, und zum anderen die Ästhetisierung der Lebenswelt, d.h. eine tendenzielle Aufhebung der Grenzen zwischen Kunst und Nicht-Kunst wie etwa Politik, Ökonomie, neue Medien, Sport, Religion und Alltagspraktiken. Beide Tendenzen transformieren die Kunstwissenschaften im Hinblick auf ihre Gegenstände und stellen ebenso ihre Methodologie und Theoriebildung vor neue Herausforderungen.
Forschungsschwerpunkte und Arbeitsgebiete
An dieser Situation setzt das seit dem 1. Oktober 2006 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Internationale Graduiertenkolleg "InterArt" ein, das von Kunstwissenschaftlern der Freien Universität Berlin zusammen mit der Copenhagen Doctoral School in Cultural Theory, Literature and the Arts durchgeführt wird.
Das Kolleg erarbeitet zunächst in der Auseinandersetzung mit konkreten Kunstwerken bzw. -ereignissen der verschiedensten Epochen neue methodische Zugänge zu diesen jeweils neu in Erscheinung tretenden Interart-Phänomenen. Damit dient es zugleich der Entwicklung neuer ästhetischer Kategorien, welche die Tendenzen zu Multimedialisierung, Hybridbildung, Performativierung angemessen zu fassen vermögen. Längerfristig wird auf dieser Basis eine neue Theoriebildung angestrebt, die sich auf unterschiedliche Arten von Interart-Phänomenen bezieht, denen eine einzelne Kunstwissenschaft mit ihrer spezifischen Theoriebildung nicht gerecht zu werden vermag.
Im Zentrum des Internationalen Graduiertenkollegs steht also ein klar fokussiertes methodologisch-theoretisches Problem, demgegenüber die einzelnen Dissertationen, die sich Interart-Phänomenen der unterschiedlichsten Art aus ganz verschiedenen Epochen widmen, als Bausteine zur Entwicklung neuer Methoden und entsprechender Theoriebildungen dienen. Da die bei ihrer Bearbeitung auftauchenden Probleme häufig keineswegs als 'rein' künstlerische zu begreifen sind, sind den Vertreter/inne/n der Kunstwissenschaften auch solche der Kulturtheorie bzw. der Historischen Anthropologie zur Seite gestellt, um Verbindungslinien zu den jeweils relevanten kulturwissenschaftlichen Debatten mitzureflektieren.
Perspektiven
Es wird davon ausgegangen, dass die Zusammenarbeit im Kolleg längerfristig Impulse zu einer Um- bzw. Neustrukturierung der beteiligten Kunstwissenschaften liefern wird, die allerdings nicht das Ziel verfolgt, sie in einer allgemeinen Bildwissenschaft oder gar Medienwissenschaft aufgehen zu lassen. Vielmehr soll die sich herausbildende Neustrukturierung die Kunstwissenschaften in die Lage versetzen, zum einen der mit den veränderten kulturellen Bedingungen zusammenhängenden heutigen Situation der Künste gerecht zu werden, was kaum eine einzelne Kunstwissenschaft allein zu leisten vermag, sondern nur alle Kunstwissenschaften einbeziehende Interart Studies. Zum anderen gehen wir davon aus, dass unter der Perspektive der zu entwickelnden Interart Studies auch bedeutsame Möglichkeiten zu einer neuen Sicht auf Kunstwerke der Vergangenheit eröffnet werden.
Die interdisziplinäre Ausrichtung des Kollegs trägt also aktuellen Veränderungen in den Kultur- und Kunstwissenschaften Rechnung und erprobt neue Wege in der Forschung der beteiligten Fächer. Damit entspricht es in besonderer Weise den Anforderungen an den wissenschaftlichen Nachwuchs. Zugleich bietet es dem Nachwuchs die Möglichkeit, überfachliche Qualifikationen durch Teamarbeit und Diskussionen mit Vertreter/inne/n anderer Fächer zu erwerben. Die Beschäftigung mit Interart-Phänomenen öffnet den Blick für eine Fülle von alltagspraktischen, kulturellen und politischen Entwicklungen. Berufliche Perspektiven ergeben sich daher nicht nur hinsichtlich einer Hochschullaufbahn, sondern auch in Hinblick auf den Kulturbetrieb.