Christian Driesen
hristian Driesen
E-Mail: Christian Driesen
Dissertationsvorhaben
Intensive Zeichen – Expressive Formen. Zu einer Theorie der Kritzelei als Differenz von Schrift und Bild
Projektbeschreibung
Das Dissertationsprojekt fragt nach dem Phänomen der Kritzelei aus einer dreifachen Perspektive, deren Anspruch die Formulierung, begriffliche Spezifizierung und theoretische Fokussierung des analytischen Status von Kritzeleien bildet. Ziel der Arbeit ist es, einen grundlegenden Beitrag zu einer Philosophie oder Theorie des Unbestimmten zu liefern, indem sie die Kritzelei beispielhaft als Phänomen des Unbestimmten, Vagen und Unscharfen entfaltet. An ihr werden Begriffe vor dem Hintergrund geschärft, das Unbestimmte in den Horizont einer Genese materieller Formen zu rücken und darin die Entstehung des Neuen von der Individuation her zu betrachten.
Aus einer genetischen Perspektive auf die Kritzelei wird diese als Vor-Bild oder Vor-Schrift im Sinne einer Entstehung von unbestimmten Formen begriffen, deren Vagheit, Ziellosigkeit und Unähnlichkeit die individuierende Differenz des Ikonischen selbst bildet. Kritzeleien sind somit zunächst allgemein als Graphismen zu erfassen, deren Bedeutungsgehalt als ein gleichsam spätes Phänomen des Symbolischen ausgeklammert werden muss. Erst im Anschluss hieran kann die Genese des Graphischen – als präsymbolische Inskription sowie Inkorporation im Akt des Ritzens – in ihrer Phänomenalität und Performativität theoretisch begriffen werden.
Kritzeleien sollen dann verstanden werden als transformatorische oder differentielle Übergänge von Schrift in Bild und umgekehrt, womit sie paradigmatisch für dasjenige stehen können, was unter dem Begriff der Schriftbildlichkeit zu bestimmen versucht wird. Weder Bild noch Schrift, machen Kritzeleien deren intensiven Zwischenraum denk- und vor allem auch sichtbar, indem sie die Aspekte der beiden ikonischen Pole in ein Spannungsverhältnis setzen, dessen figurativen Ausdruck das nicht zuletzt phänomenologisch angelegte Projekt in spezifischen künstlerischen Werken aufzuzeigen trachtet.
Schließlich erscheinen Kritzeleien als defigurierende Symptome innerhalb von Bildern oder vor allem Handschriften, indem sie diese wie ein Phantom heimsuchen und ihrer mehr oder weniger ähnlichen oder distinkten Gestalt entziehen. Symptomatisch an der Kritzelei ist ihre ambivalente oder gegenstrebige Spannung, sowohl auf eine feste Form als auch auf eine radikale Formlosigkeit (die absolute Leere einer Fläche etwa) hin zu tendieren. Diese Unbestimmtheit ihrer (De-)Figuration, die theoretisch als Figuration des Unbestimmten selbst präzise zu bestimmen sein wird, wirkt etwa in Handschriften von Psychotikern, deren graphische Produkte im emphatischen Sinne als Kritzeleien gesehen werden müssen: als Sichtbarkeit oder Wirkmächtigkeit des defigurierenden Aspekts des Kritzelns, der sowohl in den Begriffen der Psychoanalyse als auch in den Begriffen der am Formlosen orientierten Kunsttheorie analysiert wird.
Curriculum Vitae
2011 |
Konzeption und Organisation der internationalen Tagung Über Kritzeln am Literaturarchiv Marbach und an der FU Berlin (mit B. Meyer-Krahmer, R. Köppel u. E. Wittrock) |
Seit 10/2010 |
Doktorand im Graduiertenkolleg „Schriftbildlichkeit“ an der Freien Universität Berlin (DFG–Stipendium) |
2009-2010 |
Theoretische Betreuung und Gestaltung der künstlerisch-technischen Aktionsreihe Vom Zuhause durch Konzeption einer begleitenden Vortragsreihe in Basel |
seit 2007 |
Übersetzungen philosophischer und literarischer Texte aus dem Französischen |
2006-2008 |
Studienaufenthalte in Bordeaux und Paris |
seit 2006 |
Herausgabe von molpé. Zeitschrift für ambulante Metallurgie (mit A. Reichert) |
2005 |
Magister Artium mit einer Arbeit zum Begriff der Sicherheit und der Gefahr in der Philosophie Immanuel Kants sowie Friedrich Nietzsches |
2002-2006 |
Tutorien und Seminare zur Geschichte der Ästhetik, zum Poststrukturalismus und zur Psychoanalyse |
2000-2001 |
Erasmus-Aufenthalt in Nantes |
ab 1998 |
Studium der Philosophie und Kulturwissenschaften an der Universität Leipzig |
Publikationen
Herausgeberschaft
2012 |
Über Kritzeln. Graphismen zwischen Schrift, Bild, Text und Zeichen, Berlin: diaphanes (mit R. Köppel, B. Meyer-Krahmer u.E. Wittrock) |
Aufsätze
2006 |
Das Begehren der Sicherheit. Kantlektüren, in: Dialektik, H. 1, S. 57-76 |
2008 |
Antonin Artaud und der Furz, in: Konstanze Schwarzwald (Hg.), Experimente des Leibes, Münster: LIT, S. 101-132 |
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Gert Neumann. Schweigen, in: Daniel Hechler/Axel Philipps (Hg.), Widerstand denken. Michel Foucault und die Grenzen der Macht, Bielefeld: transcript, S. 247-259 |
2009 |
Kritzeln als abstrakter Expressionismus. Gilles Deleuze, in: Jost Philipp Klenner/Jörg Probst (Hg.), Ideengeschichte der Bildwissenschaft, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 291-313 |
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Variationen über die Weise. Zum Manierismus, in: Hans-Christian Lotz, Katalog, Berlin: argobooks |
2010 |
Warum das Jahrhundert deleuzianisch sein sollte…, Leipzig: Konserve |
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Wie Deleuze den Idioten gibt, in: Zeitschrift für Ideengeschichte, H. 4.2, S. 37-41 |
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Kleine unverdächtige Zeichen der Subversion. Graffiti und Migration, in: Bblackboxx Mirror. Vom Zuhause – Ein Sommer der Erkundung, H. 2, o. P. |
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Ein tragischer Materialist. Zur Philosophie Clément Rossets, in: Clément Rosset, Flüchtige Eindrücke. Schatten, Spiegelbild, Echo, Leipzig: Konserve, S. 61-79 |
2011 |
Sans signification. Le sens du silence chez Gert Neumann, in: Karsten Forbig/Chloé Tessier (Hg.), Sens & représentation en conflit. Controverses et différends textuels, Bruxelles: Lang, S. 32-39 |
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Kritzeln im Affekt, in: Sprache und Literatur, Jg. 42, H. 1, S. 46-57 |
2012 |
Lemmata Atopie, Außen, Fluchtlinie, Krypta, Rhythmus, Transversalität, in: Stephan Günzel (Hg.), Raumlexikon, Darmstadt: WBG |
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Das Kategorische an Kategorien, in: Elisabeth Fritz u. a. (Hg.), Kategorien zwischen Denkform, Analysewerkzeug und historischem Diskurs, Heidelberg: Winter, S.25-38 |
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Dionysos und der Wahnsinn der Plastizität. Malabou mit Nietzsche durchsetzt, in: André Reichert/Ulrich Johannes Schneider (Hg.), Nietzsche und die Postmoderne, Leipzig: Universitätsverlag, S.87-124 |
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Die Kritzelei als Ereignis des Formlosen, in: Rea Köppel/B.Meyer-Krahmer/Eicke Wittrock/Christian Driesen(Hg.), Über Kritzeln. Graphismen zwischen Schrift, Bild, Text und Zeichen, Berlin: diaphanes, S.23-37
Einleitung (mit R. Köppel, B. Meyer-Krahmer u.E. Wittrock), in: Über Kritzeln, S.7-21 |
Übersetzungen
2007 |
Denis Kambouchner, Hegel unter Dekonstruktion, in: Ulrich Johannes Schneider (Hg.), Der französische Hegel, Berlin: Akademie, S. 143-153 |
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Jean-Pierre Cotten, Hegel als »Abstoßungspunkt« in der Denkgeschichte von Gilles Deleuze?, in: ebd., S. 187-203 |
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Bernard Bourgeois, Jean Wahl als Leser von Hegel, in: ebd., S. 77-89 (mit U. J. Schneider) |
2008 |
Maurice Blanchot, [Nachwort], in: molpé. Zeitschrift für ambulante Metallurgie, S. 119-133 |
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Tiqqun, Как делатъ?, in: ebd., S. 7-16 |
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Tiqqun, Eh bien, la guerre!, in: ebd., S. 110-115 |
2010 |
Clément Rosset, Flüchtige Eindrücke. Schatten, Spiegelbild, Echo, Leipzig: Konserve |
2012 |
Valerie Hayaert, Der Präsident am Krankenbett, in: Zeitschrift für Ideengeschichte, H. 6.1 |
|
Henri Michaux, Ergreifen, Leipzig: Konserve |