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Teilprojekt A01

Repräsentation und Kinästhetik II – Deixis und Lage

Projektleitung: Prof. Dr. Horst Wenzel

Laufzeit: 01/1999-12/2007

Ausgangspunkt des Teilprojekts war die These, dass auch das sprachlich stimulierte Bild in der höfischen Kultur und Literatur des Mittelalters als 'visuell' verstanden werden kann. Visio corporalis und visio spsiritualis werden zwar argumantativ geschieden, aber gemeinsam doch als visio bezeichnet, weil im Prozess der Wahrnehmung beide von ein und derselben Instanz abhängig sind, von der Leistung der imaginatio. Die Schnittmenge von Wahnehmung, Vorstellung und Erinnerung bestimmt das große Feld von Inszenierungen, 'theatralischen' Schauräumen, Bildern, Blicken, An- und Einsichten, die für die mittelalterliche, besonders jedoch für die höfische Kultur relevant sind. Die höfische Kultur ist eine Kultur der Repräsentation, der Darstellung oder, wie Le Goff es formuliert, eine 'Kultur der Geste'. Diese Bestimmungen liegen nahe beieinander, denn der Fernsinn des Sehens und die Fernhandlung einer deutenden Gebärde, mithin Auge und Hand entsprechen und ergänzen sich im Zeigen. Der Ausgangspunkt war dementsprechend danach zu fragen, welche Strategien der Visualisierung und Vergegenwärtigung im Ritual, im Zeremoniell und in den verschiedenen Medien des kulturellen Gedächtnisses realisiert werden.

Im Fortgang der Arbeit hat sich die Fragestellung zugleich auf die folgenden Aspekte ausgefächert und konzentriert: auf innertextliche Memoria, nichtlineares Erzählen und mnemonische Vernetzungen (z. B. durch Ekphrasen), die Konstituierung von Schauräumen/Imaginationsräumen in Texten durch die Blicklenkung des Rezipienten, monofokales und bifokales Sehen, den Leser als Beobachter, Affektübertragung, Rhythmisierung der Bilder und das Wechselspiel von Teilhabe (involvement) und Distanz. Die Bildhaftigkeit der Literatur und die Narrativik der Bilder sind im Mittelalter eng verbunden. Besonders wichtig war deshalb die Beobachtung von Text-Bild-Zusammenhängen in den Handschriften, aber auch in anderen Bild-Text-Trägern wie Teppichen oder Freskenzyklen. Ergänzt wurde unsere Fragestellung durch die vergleichende Analyse von Wahrnehmungsmodi, die Bild und Erzählung miteinander verbinden oder gegeneinander ausdifferenzieren (Bildsemantik vs. Textsemantik; Transkription, Variation etc.). In diesem Sinne wurden spezifische Wahrnehmungserfahrungen vor dem Zeitalter der Zentralperspektive problematisiert.

Höfische Repräsentation vollzieht sich im Zusammenspiel von Inszenierung und Nachvollzug, von Zeichenhaftigkeit und Präsenz, von Setzung und Aktualisierung. Sie bildet ein umfassendes Interaktionssystem, in das auch die höfische Literatur eingebettet ist, deren Poetik sich am Körper, an Visualität und Teilhabe orientiert. Während höfische Literatur so einerseits an den Modus von kinästhetischer Wahrnehmung (affektiver) Teilhabe und körperlichem Nachvollzug anschließt, der für das rem praesentem facere prägend ist, schafft sie andererseits Wahrnehmungsangebote, die in ihrer Reichweite, ihrer zeitlichen Ausdehnung und Intensität die face-to-face-Kommunikation überbieten können. Das Projekt fragte nach der Qualität dieser speziellen Wahrnehmungsangebote, vor allem aber danach, wie die Reziprozität höfischer Repräsentation, sie das Zuweisen und Aktualisieren einer Position, Haltung oder Perspektive in den Texten und Bildern realisiert wird. Gerade dieser Punkt verweist auf zwei zentrale Begriffe, die in der nachfolgenden Antragsphase in den Mittelpunkt rücken sollten: den der 'Deixis', der die bildliche, (körper-)sprachliche, und narrative Geste meint, die die Wahrnehmung steuert und anleitet; und den der 'Lage' (Husserl), der zum Ausgangspunkt gemacht wurde, um Wahnehmungsprozesse in ihrer Räumlichkeit und Zeitlichkeit zu beschreiben.

  
Zentrale projektspezifische Publikation(en):

Horst Wenzel, Ludwig Jäger (Hg.): Deixis und Evidenz, Freiburg, Br. (u.a.): Rombach 2008.

Christina Lechtermann, Kirsten Wagner, Horst Wenzel (Hg.): Möglichkeitsräume. Zur Performativität von sensorischer Wahrnehmung, Berlin: Schmidt 2007.