Werner Hamacher (1948-2017)
Scharfer Denker, Vollblutliterat
Zum Tod von Werner Hamacher
Vielen gilt der Dekonstruktivismus als längst überwundene Modeströmung einer Philologie, die sich eine Zeitlang in leerem Redeschwall und der völligen Beliebigkeit ihrer Deutungen gefiel. Dass die philosophische Tiefe dieses Ansatzes damit verkannt wird, beweisen die Schriften von Werner Hamacher, der Grundüberzeugungen von Jacques Derrida übernahm, sie in ihrem Zusammenhang mit der abendländischen Geistesgeschichte begriff und sich vor diesem Hintergrund zu eigenen Denkanstrengungen anregen ließ. 1948 geboren, studierte er in Berlin und Paris.
Nach seiner Zeit als Assistent am Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der FU, wo er noch Peter Szondi gehört hatte, erhielt er 1984 einen Ruf an die Johns Hopkins University in Baltimore, wo er bis 1998 deutsche Literatur lehrte.
Im selben Jahr wurde er auf einen Lehrstuhl für Komparatistik an die J.-W.-Goethe-Universität in Frankfurt/Main berufen. Seine Arbeiten zeugen von der Vielseitigkeit und Intensität seiner Interessen.
Er promovierte über Hegel, übersetzte Texte von Lacan und Paul de Man, aber ebenso Gedichte, etwa von Jean Daive. Als die meisten Intellektuellen noch in den Spuren der Frankfurter Schule unterwegs waren, vertiefte er sich in die Philosophie Heideggers, dessen Dezentrierung des idealistischen Subjekts er gerne aufgriff. In diesem Sinn argumentierte er auch gegen Habermas.
Er fragte nach der Rezeption Nietzsches in Frankreich, die eigene Wege gegangen war, und schrieb früh über Paul Celan, dessen Rang er auch in späteren Texten auf der Spur war. Er hat sich mit Hölderlin, Goethe und Rilke auseinandergesetzt. Zugleich – das ist selten – war er ein blendender Lehrer, der die Studenten mit seinen überraschenden Lektüren faszinieren konnte und übrigens auch an der Sommeruniversität in Saas-Fee unterrichtet hat.
Stets blieb er für die Lockungen des Boulevards unanfällig – Peter Sloterdijk bezeichnete er einmal als den Johannes Mario Simmel der Philosophie – und war vom herben Ernst einer Philologie überzeugt, die sich in ihren Studien mit Leere, Mangel und drohender Unlesbarkeit der Texte konfrontieren muss.
In Gottferne und Nachtschwärze funkeln seine Analysen, die ihm Anerkennung in vielen Ländern der Welt brachten, wo seine Texte in Übersetzung erschienen. Bei alldem war er zutiefst menschlich im Umgang, seinen drei Kindern ein guter Vater und vielen ein wahrhafter Freund und Gesprächspartner.
Am 7.7.2017 ist er jetzt in Frankfurt/Main einer schweren Krankheit erlegen.
Eberhard Geisler