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Geschichte

Am 16. Dezember 1965 beschloss das Kuratorium der Freien Universität die „Errichtung eines selbständigen Seminars für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft“. Zum Direktor des neuen, im Kiebitzweg (heute: die AStA-Villa im Otto-von Simson-Weg) angesiedelten Seminars wurde der schon zum Sommersemester 1965 an der Freie Universität berufene Peter Szondi (1929–1971) bestellt. Szondis Konzeption des Faches als Verbindung von Vergleichender und Allgemeiner Literaturwissenschaft war in Deutschland zu diesem Zeitpunkt einmalig. Er wollte die „Schranken der Nationalliteraturen“ überwinden, gleichzeitig ging es ihm um „eine aufs Ganze der Literatur zielende theoretische Bemühung“. Szondis intellektuelle Bezugspunkte beim Aufbau des Seminars lagen größtenteils außerhalb Deutschlands. Er orientierte sich an der internationalen Komparatistik, vor allem am New Criticism der Yale University, und an der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule. Wichtig waren für ihn außerdem die Forschergruppe „Poetik und Hermeneutik“ und der französische (Post-)Strukturalismus.

Das Studium am Seminar war geprägt von Szondis ho­hem Anspruch an die Studierenden: Er setzte Kennt­nisse in drei Literaturen und zwei Fremdsprachen voraus. Diese wurden in einer umfangreichen Lese­liste festgehalten und in Klausuren überprüft, die nur wenige bestanden. Gleichzeitig förderte Szondi die Mit­bestimmung der Studierenden, beispielsweise bei der Auswahl der Seminarthemen. Darüber hinaus experi­mentierte er mit neuen Formaten des Unterrichtens. An die Stelle des monologischen Vorlesungsformats setzte er im Sommersemester 1969 ein „Literatur­wissenschaftliches Kolloquium“, in dem das Gespräch im Zentrum stehen sollte.

1971 nahm Szondi einen Ruf an die Universität in Zürich an. Historische Dokumente zeigen die politischen Konflikte im Fachbereich und die Auseinandersetzungen im Kreis seiner Mitarbeiter*innen und Studierenden um die weitere Ausrichtung des Seminars. Die Methodenvielfalt, die Szondis eigene Arbeit und sein Verständnis des Faches von Beginn an charakterisierte, führte zunehmend zu Spannungen: Historisch-komparatistische und literaturtheoretische Interessen, Hermeneutik und Poststrukturalismus standen sich gegenüber.

Nach Szondis Suizid im Oktober 1971 geriet das Seminar (ab 1972: Institut) für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft in eine Krise. Der Außenwahrnehmung von Desorganisation und inneren Konflikten stand in der Innensicht allerdings eine lebhafte Übergangszeit gegenüber. Das Institut war im Bereich der Theorie am Puls der Zeit: Jacques Derrida vertrat Szondis Lehrstuhl für ein Semester, Paul de Man und Jean-Luc Nancy gaben Gastseminare in Berlin, in Lehrveranstal­tungen von Sam Weber beschäftigte man sich mit Jacques Lacan, es entstanden Übersetzungen grundlegender poststrukturalistischer Texte. Zugleich stärkte die professorenlose Zeit einen Mittelbau, der den Studierenden eine Vielfalt aktueller Ansätze nahebrachte.

Ende 1976 wurde der Germanist Eberhard Lämmert (Nachruf 2015) an die Freie Universität berufen und zum Präsidenten der Freien Universität gewählt, im Oktober 1977 übernahm er den Lehrstuhl Szondis. Er und seine Mitarbei­ter*innen setzten neue Akzente insbesondere im Bereich der Medienästhetik und Erzähltheorie. Mit der Berufung des Romanisten Peter Brockmeier auf eine Professur für Vergleichende Literaturwissenschaft im Jahr 1980 erhielt das Institut einen zweiten Lehrstuhl; bis zum Weggang von Bernhard Lypp und Werner Hamacher (Nachruf 2017) Mitte der 1980er Jahre koexistierten unterschiedlichste theoretische Bezugspunkte der alten und neuen Zeit.

Am 1. Oktober 1983 zog das Institut in eine Villa am Hüttenweg 9. Der neue Standort und die dort in den 1990er und 2000er Jahren Lehrenden – insbesondere Winfried Menninghaus, Hella Tiedemann (Nachruf 2016) und Gert Mattenklott (Nachruf 2009) – wurden für das Institut identitätsstiftend. Im Januar 1996 blickten Eberhard Lämmert („Ein Schemel für die Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft – und was aus ihm wurde“) und Gert Mattenklott („30 Jahre AVL“) aus Anlass des dreißigjährigen Jubiläums auf die Geschichte des Instituts zurück. Mit den Berufungen von Joachim Küpper zum Wintersemester 2000/2001 und Irene Albers zum Sommersemester 2004 wurde der romanistische Schwerpunkt verstärkt, mit der Berufung von Georg Witte zum Wintersemester 2004/2005 wurde ein neuer slavistischer Schwerpunkt geschaffen. Im August 2005 zog das Institut in die Rost- und Silberlaube in der Habelschwerdter Allee 45, an seinen heutigen Standort. Im selben Jahr erfolgte auch die Umbenennung in Peter Szondi-Institut.

Anlässlich des fünfzigjährigen Jubiläums erarbeitete Irene Albers 2015 gemeinsam mit Studierenden die Ausstellung „Ethos des Lesens – Das Studium der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft an der Freien Universität 1965–2015“, die im Wintersemester 2015/16 in der Philologischen Bibliothek gezeigt wurde (Berichte im Tagespiegel, in der Neuen Zürcher Zeitung und im Online-Magazin der Freien Universität campus.leben). In diesem Zusammenhang hat Irene Albers den Band Nach Szondi. Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Freien Universität Berlin 1965–2015 herausgegeben, der 2016 in Berlin bei Kadmos erschienen ist (Einleitungstext).

Das Erbe Peter Szondis wird, nicht zuletzt im Rahmen der jährlichen Szondi Lecture (im Sommersemester) und des Szondi-Tags (im Wintersemester), weiterhin als Auftrag verstanden und von der Institutsgemeinschaft der Lehrenden und Studierenden aktualisiert.