"Heroische Männlichkeiten in der frühen Aids-Literatur." Eine vergleichende Analyse der autobiografischen Erzähltexte von Mario Wirz und Hervé Guibert.
Rebecca Heinrich
(Universität Freiburg, SFB 948 "Helden - Heroisierungen - Heroismen"):
Die frühen autobiografischen Erzähltexte des deutschen Autors Mario Wirz (1956–2013) und des französischen Autors Hervé Guibert (1955–1991) thematisieren die Anforderungen an schwule, an Aids erkrankte Männer während der Aidskrise der späten 1980er und frühen 1990er Jahre.
Während deutsche Germanisten diskutierten, ob HIV/Aids als Thema und Motiv literarisierbar sei, publizierten Wirz und Guibert literarische Texte, die das Schweigetabu brachen: im Schreiben gegen die Stigmatisierung, gegen das Sterben und für Solidarität. Ihre Werke verhandeln die literaturbetrieblichen und literarischen Kämpfe schwuler, an Aids erkrankter Autoren vor dem Hintergrund der schwulen Emanzipationsbewegung ad exemplum: Mittels martialischer Bildlichkeit auf der diegetischen Ebene wird in ihren Werken der heroische Todeskampf eines wehrhaften männlichen Künstlers inszeniert. Obwohl Wirz und Guibert in der bisherigen Forschung bereits in Studien zur frühen Aids-Literatur untersucht wurden, blieben die auffälligen Heroisierungen der literarischen Männlichkeiten bislang unberücksichtigt. So stellt sich die Frage, mit welchen narrativen Mitteln doppelt stigmatisierte, effeminierte und zu ‚Aidsopfern‘ erklärte Männer im literarischen Aidsdiskurs als Helden konstruiert werden – zumal sich mit dem Heroischen Vorstellungen eines heterosexuellen, gesunden und maskulinen Körpers verbinden.
Der Vortrag stellt mit seinem Fokus auf das intersektionale Spannungsfeld von Männlichkeiten, Homosexualität, Krankheit und dem Heroischen einen Zugang vor, um die Konfiguration von schwulen Männlichkeiten zwischen dem „utopisch-kritischen Potenzial“ der Literatur (Toni Tholen) und idealer heroischer Maskulinität zu beleuchten.
Biogramm: Rebecca Heinrich ist akademische Mitarbeiterin im Sonderforschungsbereich 948 „Helden – Herosieriungen – Heroismen“ und promoviert im Fach der Neueren deutschen Literaturgeschichte zum Thema „Schwule Helden. Männlichkeiten in der Aids-Literatur“ an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.
Im Jahre 2020 wurde ihr der Pride Biz Austria Forschungspreis für außerordentliche Leistungen in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit LGBTI in Wirtschaft, Arbeitswelt und Gesellschaft verliehen. Seit ihrem Studium des Lehramtes in den Fächern Deutsch und Französisch sowie der Germanistik an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck und an der Aix-Marseille Université ist sie zudem als freiberufliche Autorin, Literaturvermittlerin und Schreibdidaktikerin tätig. Zu ihren Forschungsinteressen zählen insbesondere Homosexualität und Männlichkeiten im literarischen Diskurs des 20. und 21. Jahrhunderts, HIV/Aids als Thema und Motiv, Held:innennarrative, kulturwissenschaftliche und soziologische Theorien und Methoden in der Germanistik (Diskursanalyse, Intersektionalität, Masculinity Studies) sowie Literaturvermittlungsforschung und performative Lyrik.
Zeit & Ort
20.12.2023 | 18:00 c.t.
KL 32/202
Rost- und Silberlaube
Freie Universität Berlin
Habelschwerdter Allee 45
14195 Berlin