Nachlese | écho: La rentrée littéraire 2021
In dieser Diskussionsveranstaltung zur rentrée littéraire widmeten wir uns am 19.11.2021 in Kooperation mit dem Institut français Berlin den Preisträger*innen des Prix Goncourt (Mohamed Mbougar Sarr, La plus secrète mémoire des hommes), des Prix Renaudot (Amélie Nothomb, Premier sang), des Prix Médicis (Christine Angot, Le Voyage dans l'Est) und des Prix Femina (Clara Dupont-Monod, S'adapter) und weiteren bemerkenswerten Neuerscheinungen. Ulrike Schneider, Professorin für frz. und ital. Literatur (Freie Universität Berlin), Jürgen Ritte, Professor für Germanistik (Paris 3 Sorbonne Nouvelle) und Andreas Rötzer, Verleger von Matthes & Seitz Berlin sprachen über Politiken der Preisvergaben und aktuelle wie länger anhaltende Tendenzen der französischen Gegenwartsliteratur, stellten ihre Favorit*innen vor und kommentierten Debatten aus dem Feuilleton rund um den literarischen Herbst.
Die Jurymitglieder haben entschieden – mit dem Prix Goncourt wurde der wichtigste Literaturpreis Frankreichs 2021 an den Schriftsteller Mohamed Mbougar Sarr vergeben. Damit ist der auf mehreren Listen geführte Favorit gekürt worden und trotzdem ist die Wahl beachtlich: Der 1990 im Senegal geborene Mohamed Mbougar Sarr ist einer der jüngsten prämierten Autor*innen in der Geschichte des Goncourt, zudem ist die Ehrung eines Schwarzen Autors aus dem subsaharischen Afrika auch ein deutliches politisches Signal in einem zu dieser Zeit vom Wahlkampf stark aufgeheizten öffentlichen Diskurs in Frankreich.
Vor allen Dingen aber sei die Entscheidung für den besten Roman, wie der Jurypräsident der Académie Goncourt Didier Decoin betonte, eine an literarästhetischen Parametern gemessene Wahl gewesen: „Ce livre est un hymne à la littérature.“ In La plus secrète mémoire des hommes (Philippe Rey/Jimsaan) entdeckt ein junger senegalesischer Autor im heutigen Paris ein geheimnisvolles Buch aus dem Jahr 1938 und begibt sich auf die Reise nach dessen vergessenem Autor. Der Roman streift die großen kriegerischen Auseinandersetzungen und Traumata des letzten Jahrhunderts, ohne sich aber auf Themen wie Kolonialismus und Rassismus zu begrenzen. Denn der außergewöhnliche Text bezieht seine Stärke vor allem aus seiner stilistisch anspruchsvollen Beschaffenheit, seiner labyrinthischen Struktur und seinem metafiktionalen Spiel.
Der zeitgleich vergebene Prix Renaudot ging an die Erfolgsautorin Amélie Nothomb für Premier sang (Albin Michel), und damit an einen Text, der die Lebensgeschichte ihres liebevollen Vaters nacherzählt und gewissermaßen das Gegenstück zu Christine Angots durch den Prix Médicis prämierten Text bildet: In Le Voyage dans l’Est (Flammarion) kommt die Autorin auf den Missbrauch ihres Vaters zurück, dem sie als Kind bis ins Erwachsenenalter ausgesetzt war. Auch der durch den Prix Femina ausgezeichnete Text widmet sich der Familie: In Clara Dupont-Monods Roman S’adapter (Stock) wird aus der Perspektive von drei Geschwistern erzählt, wie sie die Geburt ihres schwerbehinderten Bruders erleben und verarbeiten.