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Natalie Chamat (Berlin)
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Benjamin und Nietzsche: Die Sprache des Traums
Nietzsches Zarathustra ist eine Lektüre, die bereits den zwanzigjährigen Walter Benjamin 1912 zur brieflichen kritischen Stellungnahme anregt. Die Auseinandersetzung mit zentralen Denkfiguren, die Aufmerksamkeit für das zeitgenössische Phänomen Nietzsche als Gegenstand öffentlicher Popularität und wissenschaftlichen Interesses, aber auch die Resonanz literarischer Motive, von Figurationen, Metaphern und Perspektivierungen charakterisieren Benjamins Nietzsche-Rezeption.
Ausgehend von Nietzsches "Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne" von 1783 soll diskutiert werden, inwiefern das Apollinische und der Perspektivismus (oder anders formuliert, Vorstellungen von Traum und Raum) Benjamins Nietzsche-Rezeption geprägt haben. Herangezogen werden dafür vor allem "Denkbilder aus der Einbahnstraße", das Hörspiel "Lichtenberg. Ein Querschnitt" und das Vorwort "Die Aufgabe des Übersetzers".
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Chen Lin (Berlin)
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Die frühere literarische Rezeption von Nietzsches "Zarathustra" in China
Das dichterisch-philosophische Werk Zarathustra sei „ein unerschöpflicher Brunnen, in den kein Eimer hinabsteigt, ohne mit Gold und Güte [sic!] gefüllt heraufzukommen“ (Ecce Homo). Das literarisch-ästhetische und philosophische Gold und Gut von Zarathustra schätzten viele chin. Leser der ersten Rezeptionswelle bis 1949 hoch und machten es ihren eigenen (z. B. politischen) Zwecken entsprechend nutzbar. Die meisten chin. Rezipienten Nietzsches zu jener Zeit sind Schriftsteller, d. h. solche Autoren im damaligen China, deren gesellschaftliche Rolle gewissermaßen der des Intellektuellen entsprach. Ihre Nietzsche- bzw. Zarathustra-Rezeption bewegt sich an der Grenze zwischen Literatur, Ästhetik, Philosophie sowie Politik, und ist in ihrem Spektrum viel breiter als die alleinige literarische Rezeption Nietzsches. Dies ist u. a. auf die traditionelle Maxime des chin. Gelehrten zurückzuführen, sich über ihre eigene Dichtung hinaus gesellschaftlich zu engagieren, zudem suchten die damaligen Schriftsteller eifrig nach einem Ausweg aus der Krise der chinesischen Nation.
In diesem Vortrag wird die in der bisherigen Forschung zur Nietzsche-Rezeption chin. Schriftsteller nicht im Zentrum stehende, aber interessante und ausgeprägte literarische Rezeption von Nietzsche, mit dem Schwerpunkt Zarathustra, herausgearbeitet, d. h., nicht die philosophisch-politische Interpretation der Schriftsteller, sondern ihre merkwürdige Beurteilung der Literarizität von Zarathustra und die facettenreichen Einflüsse des Werkes auf ihr literarisches Schaffen stehen hierbei im Fokus. Die folgenden Fragen sollen im Vortrag unter die Lupe genommen werden: Inwieweit die literarische Rezeption in der früheren chin. Rezeption Nietzsches ein eigenständiges Thema ist, wie die Literarizität von Nietzsches Zarathustra die frühe chin. Rezeption dessen beeinflusste, wie die moderne chin. Literatur von Nietzsches Gedankengut in Zarathustra inspiriert wurde und wie sich das Verhältnis von literarischer und philosophisch-politischer Nietzsche-Rezeption gestaltete.
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Li Shuangzhi (Shanghai)
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Dekadent und Dekadenz-Kritiker in einem: Nietzsche und Thomas Manns narzisstische Selbstvorstellungen im Vergleich
Thomas Mann schreibt zweifelsohne Nietzsches Zeit- und Selbstdiagnose fort, indem er sich als einer der “aus der décadence kommend[en] [...] Chronisten und Analytiker der décadence” bezeichnet. Nietzsche präsentiert sich nämlich wiederholt als “das Kind dieser Zeit”, “ein décadent” und “dessen Gegensatz” in einem. Hinter diesem scheinbar selbstironischen Sprachduktus steckt eine gemeinsame Arbeitsweise im Denken und Dichten, die sich als poetisch-poetologischer Narzissmus betrachten lässt. Die Selbstbeobachtung und -darstellung ist bei den Beiden sowohl Ausgangspunkt als auch Programm zur Neubestimmung des Philosophen/Künstlers, gekennzeichnet durch den Fokus auf die Dekadenzkritik. In meinem Vortrag versuche ich, mittels einer Parallellektüre von Nietzsches "Der Fall Wagner" und "Ecco Homo" und Thomas Manns "Buddenbrooks", "Tonio Kröger" und "Tod in Venedig", die Auseinandersetzung mit sich selbst als Dekadent und Dekadenzkritiker als ein bezeichnendes Moment in der deutschen modernen Ideen- und Literaturgeschichte zu zeigen und zu erklären.
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Liu Yongqiang (Hangzhou)
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Nietzsches Sprachkritik im literaturhistorischen Kontext
Friedrich Nietzsches Aufsatz "Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne" (1873) gilt als eine der wirkungsreichsten Manifestationen sprach- und erkenntniskritischen Denkens im späten 19. Jahrhundert. Die in jener Schrift zum Ausdruck gebrachte radikale Sprachskepsis wird häufig im Zusammenhang mit Nietzsches philosophischem Zweifel an der Sprache als einem Instrument der Wahrheitsfindung diskutiert. Ebenso wird seine Sprachskepsis vor dem Hintergrund wissenschaftsgeschichtlich-bedeutsamer Neuerkenntnisse aus den Bereichen der Sinnesphysiologie und Wahrnehmungspsychologie des 19. Jahrhunderts erklärt oder sie wird – nicht zuletzt – im Zusammenhang mit literarischer Sprachskepsis um 1900 diskutiert. Der geplante Vortrag geht von der Annahme aus, dass wichtige Impulse für Nietzsches Sprachkritik – insbesondere seine Kritik an abstrakten Begriffen, seine Hervorhebung des Metaphorischen als Ursprung der Sprache und die Idee von einem fundamentalen Trieb zur Metaphernbildung – bereits in Texten einflussreicher Literaten um 1800 ihren Ausgangspunkt haben. In vergleichender Lektüre von Texten von Novalis (insb. des 1798 entstandenen kleinen Textes Monolog), von Heinrich von Kleist (Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden, 1805/06) und Georg Christoph Lichtenberg (zwischen 1784 und 1788 entstandener Aphorismen aus dem Sudelbuch) soll der Zusammenhang zwischen Sprachreflexionen um 1800 und der kritischen Abwendung Nietzsches von der Begriffssprache beleuchtet und damit seine Sprachkritik im literaturhistorischen Kontext diskutiert werden.
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Xu Yin (Berlin)
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Zum literarischen Stil bei Nietzsche und Freud
Von Anfang an ist der Freud-Nietzsche-Diskurs von Ideenpluralität und Plagiatsverdacht gegen Freud bestimmt. Wenig beachtet werden die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der beiden in ihrer Erkundung des Sprachgebrauchs und Umwertung des wissenschaftlichen Essays als eine eigenständige Textform. Sowohl Freud als auch Nietzsche gelten als Meister der deutschen Sprache und zeichnen sich jeweils durch ihren charakteristischen Stil aus. Nietzsche bezeichnet sich und Heine als „die ersten Artisten der deutschen Sprache“ und Entdecker der Ausdrucksform von übermenschlicher Leidenschaft. Er verzichtet auf die antike Rhetorik und beabsichtigt, einen zukunftsorientierten Stil der Moderne zu schaffen. Freud hingegen schließt sich der Rhetoriktradition an und weiß mit deren Gepflogenheiten gut umzugehen. Trotz des großen stilistischen Unterschiedes sind die beiden imstande, einmütig von der poetischen Schreibweise Gebrauch zu machen und somit eine neue Form des wissenschaftlichen Essays zu prägen. Was dabei besonders auffällt, sind die aphoristische Form, die Bildlichkeit in der Argumentation und die wechselhafte, progressive Wiederholung in den Texten. Es gelingt den beiden Autoren, die Leser durch ihre bezaubernde Sprache zu verführen, ehe sie alles verstanden haben. Auch durch ihren Verdienst ist der Essay zu einer genialen Sprachform avanciert und seitdem immer belangreicher geworden.
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Zhang Shuo (Berlin)
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Dionysische Musik als ein poetisches Programm — Die Poetik dionysischer Musikalität bei Nietzsche und Friedrich Schlegel
Einen zentralen Aspekt der nietzscheanischen Philosophie bilden seine Reflexionen über das Dionysische, das er bereits in seinem frühen Werk Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik hergeleitet hat. Die dionysische Schwärmerei sprüht in Form des Apollinischen und entfaltet sich vom Zustand der „Akustik“ zur gestalteten „Version“. In Abgrenzung von seinem früheren Idol Richard Wagner tendiert Nietzsches Musikbegriff zu einer „absoluten Musik“ und er sieht durch das Einbrechen der Dialektik in der Tragödie den Niedergang sowohl der klanglichen Schönheit als auch der Vitalität der menschlichen Seele. Paradigmatisch wird dabei der antike Lyriker Archilochos mit dem Musiker identifiziert, so dass das Verhältnis zwischen der Ichheit und dem Ur-Einen zur Diskussion gestellt wird. Der urbildliche musikalische Satyrchor vereint Musik, Gesang, Tanz und Lyrik zur Einheit, so dass die aus dem Geist der Musik geborene Tragödie noch den Ur-Rhythmus von Schrei, Gesang und Rausch beinhalten. Dieser Gedanke wurzelt in der romantischen Tradition. Der Einfluss Schillers und August Wilhelm Schlegels auf Nietzsche steht im Buch klar auf dem Papier. Es wird in meinem Vortrag ein Schritt weiter getan, um eine tiefere Verwandtschaft der dionysischen Poesie Nietzsches zur musikalischen Universal- und Transzendentalpoesie Friedrich Schlegels herauszufinden. Die romantische Wiedergeburt des Mythos im Sinne Schlegels findet ihren Nachhall in der Konzeption der dionysischen Musik bei Nietzsche. Ausgehend vom dionysischen Musikkonzept in Die Geburt der Tragödie wird ein Rückblick auf die romantische musikalische Poetik Friedrich Schlegels geworfen, um die Verwandtschaft zwischen Nietzsche und Schlegel offenzulegen.
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Zhu Kejia (Berlin)
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"Der subjektive Denker; seine Aufgabe; seine Form, d.h. sein Stil”. Zur Kunst der indirekten Mitteilung bei Nietzsche und Kierkegaard
Obwohl Nietzsche das Werk Sören Kierkegaards, des großen „Lehrers im Existentiellen“, erst 1888 zur Kenntnis nahm und eine weitere Auseinandersetzung nicht mehr möglich gewesen ist, gibt es Gründe anzunehmen, dass sich Nietzsche Kierkegaard in vieler Hinsicht nahe gefühlt hätte. Das ihnen Gemeinsame ist nicht nur die oberflächliche Verbindung eines Denkens in Extremen mit einer Ausnahmeexistenz, sondern eine tieferliegende strukturelle Verwandtschaft der Denkweise in der Ganzheit des Daseins, im Medium des Existierens. Dies manifestiert sich in ihrer ungeheuren Lust an Formen sowie ihrer Aufmerksamkeit für die Dialektik der Mitteilung. Nicht anders als der Verfasser des Zarathustra oder der Parabel vom tollen Menschen ist auch Kierkegaard ein Dichter-Philosoph, der in seinem Rückgriff auf die Paradoxie der ethischen Mitteilung sich des Literarischen als Medium bedient und sich zugleich der „Unredlichkeit“ eines jeden Ästhetikers bewusst ist. Beide besitzen die “erbarmungslose Neugierde”, den durchdringenden Blick eines Psychologen; beide zeigen die Affinität zu Widersprüchen, Zweideutigkeit und Grenzüberschreitung; beide verstecken sich anonym und undurchschaubar hinter Maskeraden, geschickt in der Verführungskunst mit Schönheit und Glanz des Sinnlichen und Dichterischen. Verführung – Wozu denn? – bei Kierkegaard zum christlichen Glauben, aufgefasst als die absolute Paradoxie; bei Nietzsche zur Überwindung des Christentums, zum Übermenschen. In dem Vortrag wird die Verwandtschaft zwischen Nietzsche und Kierkegaard in besonderem Hinblick auf ihre Mitteilungskunst skizziert, und der Vergleich wird umso spannender, als den beiden auf den ersten Blick als Antipoden erscheinenden Denkern viel gemeinsam ist bis in die Details ihrer Darstellungsweise und ihres schriftstellerischen Selbstverständnisses hinein.
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