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Viktoria Volkova

Institut / Einrichtungen:

Fachgebiet / Arbeitsbereich:

Konstituierung der Kunstfigur durch soziale Emotionen. Eine empirische Studie anhand der Probenprozesse an großen Berliner Theatern. (Regie: Dimiter Gotscheff , Thomas Langhoff , Thomas Ostermeier)

Doktorandin

Adresse
Grunewaldstraße 34
12165 Berlin

Konstituierung der Kunstfigur durch soziale Emotionen. Empirische Studie anhand der Probenprozesse an großen Berliner Theatern.

Warum ist es relevant, die Frage nach der Entstehungsweise und nach der Struktur einer Emotion aufzuwerfen? Bis heute können die Forscher verschiedenster Disziplinen, von den Philosophen bis zu den Neurowissenschaftlern, nicht einheitlich auf die Frage antworten, was eine Emotion ist, wodurch sie sich von einem Gefühl unterscheidet, was genau ihre Entstehungsbedingungen sind usw. Diese Uneinigkeit der Forscher ist durchaus erklärbar, weil die Antworten auf diese Fragen vom Ziel, von der Methodologie und vom Material der Untersuchung abhängen. In meiner Studie untersuche ich die Konstituierung der sozialen Emotionen – der emotionalen Ereignisse, die in den sozialen Interaktionen der Probenbeteiligten auftreten und nach einer Besprechung, körperlichen Artikulation und weiteren Bearbeitungsnuancen in diesem Zustand in die Bühnenfassung einer Theateraufführung eingehen. Ich werfe auch die Frage danach auf, was genau ein theatraler Probenprozess im Hinblick auf die Emotions-, Ritual-, Performativitäts-, Theater- und Soziologieforschung ist.

Ziel meiner Untersuchung ist einerseits, einen Beitrag zur theaterwissenschaftlichen Methodologie von den Forschungsmöglichkeiten eines Theaterprobenprozesses – einer bis heute aufgrund ihrer Unzugänglichkeit und Flüchtigkeit vernachlässigten bzw. viel zu wenig untersuchten Domäne – zu leisten. Warum sind Probenprozesse meistens so unzugänglich für die Öffentlichkeit? Was sind die Kriterien, nach denen sich ein Probenprozess konstituiert? Mit welchen ästhetischen Kategorien wird bei der Probenuntersuchung operiert? Meines Erachtens ist für die Theaterwissenschaft eine sich auf die Emotionsforschung beziehende Methodologie der Probenforschung relevant. Deswegen verfolge ich andererseits, wie solche komplexen Phänomene wie Emotionen der Kunstfiguren in der sozialen Interaktion der Künstler am Beispiel eines „Modellentwurfs des Lebens“[1] – des theatralen Probenprozesses – entstehen (Es ist nachvollziehbar, dass eine Emotionsanalyse am Beispiel des Alltagslebens eines realen Menschen aus vielen – z. B. ethischen und zeitlichen – Gründen unzugänglich ist). Welche emotionalen Ereignisse werden im Prozess der Konstituierung einer Probe buchstäblich in Szene gesetzt? Wie entwickeln sich die Beziehungen zwischen den Kunstfiguren durch soziale Interaktionen der Künstler?

Methodologisch gehe ich zum einen empirisch als Probenbeobachterin und unmittelbare Probenbeteiligte heran: Ich habe als Hospitantin drei Probenprozesse in voller Zeitdauer an großen Berliner Häusern – dem Deutschen Theater, dem Berliner Ensemble und der Schaubühne am Lehniner Platz – besucht. Solche unmittelbare Teilnahme ermöglichte mir, einen engen Kontakt mit den Künstlern zu knüpfen und sie bei Bedarf zu interviewen. Zum anderen greife ich die Theorien des Performativen auf, die seit den 1990-er Jahren die Forschungsperspektive der Künste bestimmen. Seit dem Einbruch des „performative turn“, wenn Kultur als Performance untersucht wird (anstatt sie nur als Text – im Rahmen eines „linguistic turn“ – zu erforschen), „verlagerte sich [das Interesse] nun stärker auf die Tätigkeiten des Herstellens, Produzierens, Machens und auf die Handlungen, Austauschprozesse, Veränderungen und Dynamiken, durch die sich bestehende Strukturen auflösen und herausbilden“[2]. Einen Probenprozess betrachte ich gerade im Prozess seines Herstellens und verwende zahlreiche Theorien, um diesem komplexen Problem auf den Grund zu gehen. Das sind die Aufführungs/(Performance)theorien von Max Herrmann, Erika Fischer-Lichte, Milton Singer, Marvin Carlson, Jon McKenzie; die Performativitätstheorien von Erika Fischer-Lichte, Sybille Krämer, Marco Stahlhut; die Probentheorien von Konstantin Stanislawski, Michail Čechov, Vsevolod Meyerhold, Berthold Brecht, Hajo Kurzenberger sowie eine 2012 erschienene grundlegende Theaterprobenstudie von Annemarie Matzke; die Theorien der Ritualität und Grenzüberschreitung (Arnold van Gennep, Victor Turner, Ursula Rao und Klaus-Peter-Köpping, Hans-Friedrich Bormann und Gabriele Brandstetter, Erika Fischer-Lichte, Christoph Wulf), die Theorien der Raumästhetik (Michel Foucault, Gernot Böhme, Michel de Certeau, Hans-Thies Lehmann, Martina Löw), die Theorien der Intermedialität (Irina O. Rajewski, Henry Schoenmaekers, Chiel Kattenbelt, Thomas Oberender, Kati Röttger), die Improvisationstheorien von Michail Čechov, Ewgenij Wachtangow, Konstantin Stanislawski, Keith Johnstone, Gerhard Ebert, Andrej Tolšin. Für die Emotionsforschung werde ich in den zu erstellenden Kapiteln die Theorien von Emile Durkheim, Erving Goffman, Randall Collins, Erika Summers-Effler, Christoph Wulf, Manfred Prenzel, Christian von Scheve, Jan Stets, Jonathan Turner, Michael Lewis, Theodore D. Kemper anwenden.


[1] Ich identifiziere einen Theaterprobenprozess mit einem „Modellentwurf des Lebens“ unter Berufung auf die Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte, die in ihrer grundlegenden Studie Ästhetik des Performativen vorschlägt, eine theatrale Aufführung „sowohl als das Leben selbst als auch als sein Modell zu begreifen“ (Vgl. Fischer-Lichte, Erika, Ästhetik des Performativen, Frankfurt a. M, 2004, S. 359.) Wenn eine „fertige“ Aufführung als das „Modell des Lebens“ bezeichnet wird, dann ist logischerweise die „Vorphase“ der Aufführung – ein Probenprozess – als „Modellentwurf des Lebens“ zu fassen.

[2] Fischer-Lichte, Erika, „Vom ‚Text’ zur ‚Performance’. Der ‚performative turn’ in den Kulturwissenschaften“, in: Kunstform International: Kunst ohne Werk. Bd. 152 (Oktober – Dezember 2000), S. 61 – 63, S. 61.