„Philosophische und theologische Perspektiven der Weltseele – Teil I: Antike und Spätantike“, Workshop in den Räumen der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften in Berlin
Workshop am 04.-05.06.2010 in den Räumen der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften in Berlin, Leitung gemeinsam mit Prof. Dr. Johannes Zachhuber (Trinity College, Oxford)
Die Weltseele gilt seit der frühen Neuzeit als Inbegriff einer ihre Probleme und Diskussionen selbst generierenden spekulativen Metaphysik, der man mit dem Ockhamschen Rasiermesser beikommen müsse. Die zuerst in Platons Timaios eingeführte Entität und ihre Konzeption wurden seitdem zum Gegenstand von antischolastischer, antimittelalterlicher Polemik und zum Paradigma der neuen Begriffsökonomie einer scientia nova.
Die in diesen neuzeitlichen Diskursen in polemischer Absicht verwendeten Argumente gegen den Popanz der Hypostasierung eines absurden Gedankengespinstes aber korrespondieren in keiner Weise den Diskussionen, die in Antike und frühem und hohem Mittelalter zu diesem Thema geführt worden waren.
In Platons Timaios folgt die Einführung der Psyche tou kosmou einer rational hergeleiteten Notwendigkeit zur Begründung der schwierigen Vermittlung zwischen Intelligiblem und Wahrnehmbarem. Ebenso wie ihre Einführung sind auch die dazugehörigen Kommentierungen und Interpretationen des platonischen Grundtextes nie ausschließlich kosmologisch, sondern immer erkenntnistheoretisch abgesichert.
Auch gewinnt die Weltseele in diesen platonischen und neuplatonischen Diskursen in keinem Fall den Status einer alles durchdringenden und die sinnlich wahrnehmbare Welt als ganze zu einem einheitlichen Seelenwesen formenden Substanz. Solche Formen von Pantheismus und Pasnpsychismus finden sich hingegen in der antiken Stoa. Die hellenistische Philosophenschule ist auch der Ort, an dem die Weltseele eine kosmologisch herausragende und die Physik prägende Funktion erhellt.
In den differenzierten Kommentartraditionen zum Timaios der Spätantike wird demgegenüber die Weltseele zwar unter dem Gesichtspunkt betrachtet, wie ihr Verhältnis zu den Einzelseelen gedacht werden kann und welche Bedeutung sie für die ontologische, gnoseologische und kosmologische Frage der Mittelstellung der Seele besitzt, sie wird aber dabei nie zum universalen Prinzip des Lebens überhaupt und verliert niemals ihre Anbindung an genuin erkenntnistheoretische Diskurse.
Im Mittelalter schließlich rückt sie in den christlichen theologischen Diskussionen nach einigen, offensichtlich keine breiten Diskurse auslösenden Anfängen in der Patristik, erst bei Abaelard und in der Schule von Chartres in den Fokus und wird dort mit Blick auf die Frage diskutiert, ob in der platonischen Weltseele eine andere Formulierung oder ein Bild für den Heiligen Geist erkannt werden kann.
In dem interdisziplinären Workshop-Projekt soll diese antike und mittelalterliche Tradition in zwei Etappen – zunächst für Antike und Spätantike, dann für das frühe und hohe Mittelalter – unter verschiedenen philosophischen und theologischen Perspektiven zum Thema gemacht werden. Ziel der gemeinsamen Diskussionsarbeit ist eine weitere Erhöhung des Differenzierungsgrades in den modernen Interpretationen der Weltseele sowie eine Erweiterung des für diese bislang herangezogenen Materials.