Konferenz "Die neue Nähe"
Am 1. Juli 2010 veranstaltete die BerlinMediaProfessionalSchool des Instituts für Kultur- und Medienmanagement in der Berliner Repräsentanz der E-Plus Gruppe die Konferenz „Die neue Nähe“. Vertreter aus Politik, Medien und Kultur diskutierten über Folgen und Herausforderungen der "digitalen Gesellschaft". Moderiert wurde die Diskussion von Markus Föderl, Redaktionsleiter TV21.
Das Programm als PDF finden Sie hier.
Im Eröffnungsvortrag verglich Prof. Dr. Klaus Siebenhaar die medienbasierte neue Nähe mit den Folgen der Ästhetischen Moderne: „Der Sündenfall war der Griff der Kunst in das Leben und die Verschmelzung von Künstler, Kunst und Leben im Kunstwerk.“ Die Kunst brauchte damit, im Sinne einer interaktiven Beziehung, den Betrachter, er rückte ins Bild. Das bedeutete Symbiose wie Konflikt und zwang Kunst und Betrachter in ein neues Nahverhältnis. Wer in der Mittelbarkeit der digitalen Moderne, in der die Unterschiede zwischen Produzenten und Konsumenten nur noch bedingt gälten, Koch oder Kellner, Aufklärer oder Verblender sei, das sei noch nicht entschieden. In jedem Fall müssten sich die klassischen Institutionen aus Kultur, Medien und Politik nun mit einem Phänomen auseinandersetzen, das in der Kunst zum Beginn des letzten Jahrhunderts seinen Anfang nahm.
In der Keynote führte der ehemalige stellvertretende Regierungssprecher Dr. Thomas Steg aus, dass der Strukturwandel des Mediensystems durchaus zu einer neuen Nähe zwischen Politik und Bürgern führen könne. Das Nutzungsverhalten der jüngeren und zunehmend auch der älteren Generationen zeige deutlich, dass dem Internet auch in der politischen Kommunikation eine immer gewichtigere Rolle zukomme. Allerdings würden auch in Zukunft die traditionellen Massenmedien relevant bleiben. Zudem ließen sich nicht alle Forderungen nach schneller und direkter Kommunikation einfach auf Regierungsebene übertragen, da etwa die Außenkommunikation von Ministerien auch rechtlichen Schranken unterliege. Dennoch sei die Bundesregierung im Bereich der Onlinekommunikation im internationalen Vergleich seit Jahren sehr aktiv und innovativ.
Der weitere Vormittag stand unter der Überschrift „Neue Nähe“ aus normativer und strategischer Perspektive.
Zunächst kritisierte der Chefredakteur der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen Zeitung, Horst Seidenfaden, das Attribut „neu“. Für den Bereich der Regionalmedien sei Nähe zum Leser und zur Region schon immer entscheidend gewesen. Seidenfaden beklagte die Bedeutung, die Regionalmedien immer noch dem Überregionalen beimäßen. Informationen zu nationalen und internationalen Themen seien heute im Überfluss zugänglich, Regionalmedien sollten Nähe auch inhaltlich ganz wörtlich nehmen, indem sie regionalen und lokalen Themen den Vorrang einräumen. Die HNA hat diesen Schritt off- und online bereits radikal vollzogen und das Echo der Leser sei positiv.
Christoph Dowe, stellvertretender Chefredakteur von ZEIT Online, betonte die Bedeutung von moderierten Communities gerade für Medienmarken, die für Meinungsstärke bekannt sind. Die Kommentarfunktionen und Leserblogs von ZEIT Online würden nicht nur viel genutzt, sondern auch qualitativ gut zur Marke ZEIT passen. Wichtig sei dabei den Dialog mit dem ehemaligen Leser, der nun Kommentator und Mitautor sei, ernst zu nehmen, dann könne wirklich eine neue Nähe zwischen Nutzer und Medienmarke entstehen. Das bedeute aber auch personelle Veränderungen in der Redaktion, so hat ZEIT Online ein eigenes Team von Community-Redakteuren aufgebaut.
Michael Maier, ehemaliger Chefredakteur von Berliner Zeitung, Stern und Netzeitung und jetzt Social Media Unternehmer, warnte die großen Medienmarken vor Bequemlichkeit. Gute Journalisten und Kommentatoren würden heute auch ohne sie ein Publikum finden: „Paul Krugman braucht die New York Times nicht.“ Zudem mache er die Erfahrung, dass in vielen Bereichen, etwa im Energie- oder Pharmasektor, bloggende Experten besser informiert seien und gründlicher recherchierten als viele Journalisten. Eine große Gefahr sieht Mayer allerdings in den Netzmedien: Partikularinteressen würden zunehmend unkenntlich, etwa wenn Industrieverbände oder Interessengruppen Verbraucherinformationsportale betrieben.
Prof. Joachim Sauter, vielfach ausgezeichneter Mediendesigner und Gründer von ART+COM, erweiterte die Diskussion um die Perspektive Medien im Bereich Kultur. Die interaktiven Rauminstallationen, mit denen ART+COM etwa das berliner Naturkundemuseum neu gestaltete, oder die Installation „floating numbers“ im Jüdischem Museum Berlin zeigten, wie der Einsatz von Medien den Betrachter in eine interaktive Beziehung mit einem Ausstellungsobjekt oder sogar abstrakten Inhalten versetzen könne. Die Integration des Betrachters, die Schaffung eines Nahverhältnisses, sei das Ziel dieser Raummedien.
Im nachfolgenden Panel erläuterte Stefan Rosinski, wie Theater bisher auf die neuen Medien reagiert haben. Gerade das Theater habe schon immer von seiner Unmittelbarkeit, von Nahverhältnissen zwischen Publikum und Inszenierung, gelebt. Mitte der 1990er habe man das damals neue Medium Internet noch ängstlich betrachtet. Heute sei klar, dass es dafür genutzt werden müssen, die Publika zu erweitern. Zu neuen künstlerischen Ausdrucksformen auf der Bühne hätten die neuen Medien bereits geführt, allerdings sei das eher eine Fortführung einer Tradition, da Medien wie Film auf der Bühne schon lange genutzt würden.
Am Nachmittag stand neben der Kultur die Perspektive der politischen Kommunikationspraxis im Vordergrund.
Tobias Möller, als Marketingleiter zuständig für die „Digital Concert Hall“ der Berliner Philharmoniker stellte das innovative Projekt vor. Mit ihrer digitalen Konzerthalle haben die Berliner Philharmoniker als weltweit erstes Orchester einen eigenen digitalen Vertriebskanal für Ihre Aufführungen geschaffen. Damit hat sich das Orchester den sogenannten Long Tail erschlossen. Interessant sei vor allem zu sehen, dass die Abonnenten weltweit verteilt seien und man so eine neue Bindung an das Orchester schaffen könne. Die Diskussionen in den Social Media Kanälen, auf denen das Orchester vertreten ist, würden darüber hinaus von einer lebendigen Fangemeinde zeugen, im Klassikmarkt mit seinem angeblich überalternden Publikum sei das eine Überraschung und Beruhigung.
Um die Bedeutung einer neuen Nähe zu Anspruchsgruppen ging es auch in den weiteren Vorträgen des Nachmittags. Wie Dr. Gunnar Bender, Director Corporate Affairs E-Plus Gruppe, ausführte, ermöglichen die Netzmedien eine neue Form der Interessenvertretung. Digital Public Affairs bedeuteten zunächst die gezielte Ansprache von Multiplikatoren im Netz. Nur wenn man die richtigen Personen erreiche, könne man seinen Inhalten zu digitaler Publizität verhelfen. Wichtig seien dabei vollständige Offen- und Ehrlichkeit sowie Dialog, d.h. ein Ansatz von „grassroots“ statt „astroturfing“. Gerade unter den digitalen Multiplikatoren seien viele interessierte und gut informierte, die man von den eigenen Anliegen überzeugen könne, aber keinesfalls zu überreden versuchen sollte.
Robert Heinrich, Bundespressesprecher von Bündnis 90 / Die Grünen sah Übereinstimmungen zum Kommunikationsansatz seiner Partei. Auch für klassische politische Inhalte und Mobilisierung gälte heute das Gebot von Transparenz und Offenheit. Zudem ermöglichten die neuen Medien einen eigentlich selbstverständlichen Prozess der Politik in einer neuen Qualität und Quantität: Zuhören und Antworten. So führten etwa die Grünen vor der Bundestagswahl 2009 die Aktion „Drei Tage wach“ durch, bei der Freiwillige 72 Stunden lang Wählerfragen beantworteten. Auch ermöglichten die neuen Medien die Wiederbelebung der Netzwerkqualitäten von Parteien. Während sich die Parteizentralen früher ein Meinungsbild der Basis verschafften, indem sie die Kreisverbände besuchten, ließen sich deren Stimmung und Meinungen zunehmend auch in den öffentlichen und parteiinternen Netzmedien ablesen.
Dr. Stefan Hennewig, Leiter Internes Management der CDU und verantwortlich für die Onlinekampagnen der Partei seit 2002, stimmte Heinrich weitgehend zu. Allerdings fügte er hinzu, dass die Partizipationsbereitschaft vieler Wähler und Parteimitglieder gelegentlich überschätzt werde. Mit Blick auf das Nutzungsverhalten ließe sich feststellen, dass das Informations- immer noch weit vor dem Partizipationsbedürfnis rangiere. Dennoch sei es für die Parteien unabdingbar ihre Strukturen auf die neuen Kommunikationsbedingungen einzustellen, auch wenn Veränderungen in großen Organisationen Geduld voraussetzten. Nähe um jeden Preis würde er den Parteien jedoch nicht raten, gerade inhaltliche Partizipation, etwa an programmatischen Inhalten einer Partei, sollte auch online noch an weitere Voraussetzungen gebunden sein, als an einen Klick.
Im Podium warnte Dr. Robin Meyer-Lucht, Unternehmensberater und Herausgeber des Blogs CARTA, davor, dass es im Netz zu einer Konfusion der Institutionen komme. Der Unterschied zwischen einem Blogautor und seiner Funktion, etwa in einem Unternehmen, werde oft nicht wahrgenommen. Wer auf Dauer im Netz glaubhaft kommunizieren wolle, müsse daher transparent machen, in welcher Rolle er kommuniziere, sonst veliere man schnelle die Akzeptanz der Nutzer und damit die wichtigste Legitimation.
Referenten:
Dr. Gunnar Bender (Director Corporate Affairs E-Plus Gruppe)
Christoph Dowe (stellv. Chefredakteur ZEIT ONLINE)
Robert Heinrich (Leiter Öffentlichkeitsarbeit BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN
Dr. Stefan Hennewig (Leiter Internes Management CDU)
Dr. Michael Maier (Journalist, Geschäftsführer Blogfom Group GmbH)
Dr. Robin Meyer-Lucht (Strategieberater, Herausgeber CARTA)
Tobias Möller (Leiter Marketing und Kommunikation Berlin Phil Media GmbH / Stiftung Berliner Philharmoniker)
Stefan Rosinski (Kulturmanager)
Prof. Joachim Sauter (Vorstand ART+COM AG)
Horst Seidenfaden (Chefredakteur Hessische/Niedersächsische Allgemeine Zeitung)
Prof. Dr. Klaus Siebenhaar (Direktor Institut für Kultur- und Medienmanagement)
Dr. Thomas Steg (Public-Affairs-Berater, stellv. Sprecher der Bundesregierung a.D.)
Moderator:
Markus Föderl (Journalist, Redaktionsleiter TV21)